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Wiener Schauplätze & die österreichische Seele




Sigmund Freud, 1856 in Mähren als Sigismund Schlomo Freud geboren, in Wien aufwachsend, studierend und arbeitend, galt als Träumer. Er träumte, wie viele seiner Zeitgenossen, vom Aufstieg im Zentrum eines Millionenreichs. Von Träumerinnen will ich hier gar nicht schreiben, denn zur Zeit, als Freud das weite Land des Unbewussten und der Träume erforschte, hatten Frauen für gewöhnlich wenig Gelegenheit, ihren Träumen nachzusinnen. Auch konnten viele kaum davon träumen, in all ihren Wünschen und Vorstellungen, überhaupt in ihrem seelischen Sein und in ihrem Frausein wahr- und angenommen zu werden. Frauen waren damals auch in Österreich noch Menschen zweiter Klasse.

"War Wien vor 1848 nur eine durchschnittliche mitteleuropäische Stadt gewesen, so entwickelte sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Eiltempo zu einer europäischen Metropole. Sichtbarer Ausdruck der rapide voranschreitenden Modernisierung war die architektonische Neugestaltung der Stadt.

1860, im Jahr des Zuzugs der Familie Freud, wurde das Projekt der Ringstraße begonnen, ein Vorhaben, das eine Großbaustelle im Herzen der Stadt mit sich brachte. Zu diesem Zweck wurde die alte Stadtmauer geschliffen und die neu geschaffenen Gründe an das finanzkräftige, liberale, meist jüdische Großbürgertum verkauft, das hier repräsentative Wohnbauten errichten ließ."

(aus: „Sigmund Freud - Wiener Schauplätze der Psychoanalyse“, Autorinnen: Lisa Fischer, Regina Köpl, erschienen im Böhlau Verlag)


Im Jahr 1891 zog die Familie Freud in die Berggasse 19. Diese Adresse lässt sich zum Geburtsort der Psychoanalyse bestimmen. Hier blieb die Familie wohnen, bis sie sich 1938 dazu entschloss, aus den bekannten schrecklichen Gründen zu emigrieren.

Ich gehöre nicht unbedingt zu den Verehrer*innen Freuds, denn ich sehe manche seiner Erkenntnisse kritisch. Vor allem bin ich entsetzt darüber, was infolge seiner Überzeugungen (und gewiss haben sich hier auch Kollegen angeschlossen) vielen Frauen angetan wurde, die sich in "Behandlung" begaben: Sigmund Freud zufolge wurde beim weiblichen Orgasmus zwischen „klitoralem“ und „vaginalem“ Orgasmus unterschieden, weshalb es zu einer Geringschätzung der „klitoralen Sexualität“ kam. Dieser erschreckenden Einschätzung folgten unzählige genitale Verstümmelungen an Frauen, die bis in die 1960er Jahre durchgeführt wurden, auch, damit Frauen von ihren "Leiden" (etwa Hysterie, Nervosität, Nymphomanie, Masturbation) erlöst wurden. Ich kann nicht umhin, hierin auch eindeutig bittere Auswüchse einer patriarchal geprägten Gesellschaft zu erkennen.

Warum ich also Freud erwähne, hat zweifelsohne damit zu tun, dass Wien und Sigmund Freud, seine Familie und ihr Schicksal untrennbar mit dieser Stadt verbunden sind. In Wien braute sich in diesen Jahren etwas zusammen, das sich bedrohlich und zunächst noch völlig unterschätzt den jüdischen Menschen annäherte ...


Vor kurzem war ich also wieder einmal in Wien, der Lebens- und Arbeitsstadt Freuds. Den ersten Teil, einen Seitenblick auf das Parkett des Wiener Opernballs, habe ich auf meinen Lebenslinien gepostet. Dieser Teil 2 beschäftigt sich mit Wiener Schauplätzen und mit den Farben der Seele. Der Seele von Herrn und Frau Österreicher. Herr und Frau Österreicher, hier blicken wir natürlich auch in Abgründe ... Aber der Reihe nach!


Wohl auch längst von Nöten war ein ersehnter Tapetenwechsel, die Reise mit dem Zug ist schnell bewältigt, warum nur hat es wieder viel zu lange gedauert, bis ich mich in dieser wunderbaren Stadt eingefunden habe?

Der äußere Anlass war, Bestände von Schillingscheinen und -münzen in der Österreichischen Nationalbank umzutauschen. Allerhand, was sich diesbezüglich noch alles in der elterlichen Wohnung hervortut.

So bin ich also in den Genuss gekommen, wieder einmal an beeindruckenden Gebäuden aus der den Städtebau so prägenden Monarchiezeit vorbeizuflanieren. Neben der Nationalbank hatten wir tatsächlich noch ein anderes Ziel ins Auge gefasst: Diesmal wollten wir uns der Österreichischen Nationalbibliothek widmen. Immer wieder einmal kam es mir in den Sinn, aber Entscheidungen zu treffen, was man in Wien sehen möchte, ist bei DER Auswahl an reichen Schätzen in Hinblick auf Architektur, Kunst und Kultur wahrlich nicht einfach.

Das Wetter war freundlicher als angekündigt - so konnten wir auch einige Wege zu Fuß wagen, was ich immer so besonders schätze. Wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln fährt (in unserem Fall war es die Linie 71, die uns u.a. einen Ausblick auf die Oper, das Burgtheater, das Parlament und das Rathaus ermöglichte), kann man sich in der riesigen Stadt gewiss einen guten Überblick verschaffen, aber um genauer zu betrachten und Prächtiges zu genießen, empfiehlt es sich natürlich, per pedes unterwegs sein.

Tourist*innen gehen auch auf die Angebote der Wiener Fiaker ein und lassen sich in einer Kutsche auf den typischen Routen fahren - mir tun allerdings schon bei ihrem bloßen Anblick die Pferde leid. Ich kann mir nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich ein Pferd auf den Straßen der Gegenwart wohl fühlt, wenn ringsum die Autos laut dröhnen und auch sonst viel Treiben auf den Straßen herrscht. Und da denke ich noch nicht einmal an die brütendheißen Temperaturen im Sommer, wo auch Straßenbeläge die Hitze speichern. Aber natürlich prägten Kutschen, Pferde und ihre Kutscher einst auch das Stadtbild Wiens, ab etwa 1670 waren sie aus dem innerstädtischen Verkehr Wiens nicht mehr wegzudenken.


Die Welt der Bücher ist eine, die ich schon als Volksschülerin entdeckt habe. Ja, ich behaupte sogar, dass Bücher voller Seele sind ... Schon damals war meine Freude am Lesen so groß, dass ich mich abends nicht so ohne weiteres von meinen Büchern trennen konnte. Hatte es mir ein Buch ganz besonders angetan, versuchte ich, heimlich und mit direkter Komplizenschaft einer Taschenlampe unter der Bettdecke weiterzulesen. Das abendliche Lesen ist bis heute liebgewonnenes Ritual, allerdings muss ich schon lange nicht mehr listig im Schein einer Taschenlampe lesen.

Als besonders beeindruckend empfinde ich Bibliotheken, wie wir sie in Klöstern und Stiften bewundern können, mit denen wir in Österreich so reich gesegnet sind ("Österreich - Klösterreich").

Die Österreichische Nationalbibliothek vermag auf alle Fälle ebenfalls sehr zu beeindrucken. Freundlich wird man beim Eingang zum Prunksaal darüber informiert, dass Fotografieren - ohne Blitzlicht! - erlaubt ist. Es sollte mich einige Geduld kosten, ohne Blitzlicht halbwegs vorweisbare Fotos zu erstellen, eine große Ausbeute ist dabei allerdings nicht entstanden. Was beim Betreten des Saales sofort auffällt - viele Leitern stehen herum, was keine Überraschung ist, wenn man sich die Dimensionen der Bücherwände vor Augen führt. Ach Mensch, was bist du klein angesichts dieser mächtigen Höhen!

Sieben Monate lang, nämlich bis Dezember 2022, wurde der Prunksaal restauriert, insgesamt 90 Restaurator*innen und Expert*innen waren damit beschäftigt. Frisch glänzt das Gold, auch Stukk-, Metall- und Steinrestaurator*innen haben ihr Können unter Beweis gestellt. Auch den Globen, beeindruckend in ihrer Größe, ist ein Museum gewidmet, es ist das einzige seiner Art weltweit. Zu sehen sind rund 250 Globen, die mit dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart datieren. Dieses Museum befindet sich im Palais Mollard, es liest sich höchst interessant, was hier alles zu bestaunen ist.

Ebenso wird das Literaturmuseum im denkmalgeschützten Grillparzerhaus bei Bücherfreund*innen auf großes Interesse treffen. An diesem Ort sind u.a. einzigartige Originalquellen zu sehen, wie Briefe, Handschriften und Erstausgaben. Besucher*innen dürfen sich über Begegnungen mit der österreichischen Literatur vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart freuen. Überhaupt, Wien ist eine scheinbar unendliche Welt der Museen! Man darf gerne darüber disputieren, welche Welt aller Welten wohl die gewaltigste sein mag ...



Der Prunksaal (mit einer stattlichen Höhe von 20 Metern) hat wahrlich schon einige Katastrophen und Gefahren überstanden im Laufe seines Bestehens, so zeigte seine Kuppel bereits im Jahr 1740 bedrohliche Risse, daher wurde sie mit einem Eisenring verstärkt und es mussten zwei Stützpfeiler eingezogen werden. Einige Male waren die kostbaren historischen Bücher auch Feuersbrünsten oder kriegerischen Angriffen ausgesetzt, zuletzt waren die kostbaren Bücher (aus einem Zeitraum von 1501 bis 1850) in Gefahr, als in der benachbarten Hofburg 1992 ein Großbrand ausbrach. Dabei wurde der berühmte Große Redoutensaal der Hofburg vollkommen vernichtet und musste unter großen Mühen neu errichtet werden, dies unter Verwendung zeitgemäßer Technologien und unter Einbindung moderner Gestaltungselemente. Auch der Prunksaal der Nationalbibliothek war damals gefährdet. Passant*innen und Polizei retteten tausende wertvolle Bücher, ebenso wurden Gemälde und die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule in Sicherheit gebracht.


Nun sollte man meinen, dass erworbenes und vor allem verinnerlichtes Wissen den Menschen davor bewahrt, Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hat, zu wiederholen. Soweit der Glaube, die Hoffnung, die Theorie.

Dass dies leider nicht immer der Fall ist, erfahren wir mit unseren Blicken in die Welt.

Die Republik Österreich hat das Gedenkjahr 2018 zum Anlass für eine intensive Aufarbeitung der Vergangenheit Österreichs genommen. Am 12. November 1918 wurde die Republik proklamiert. Am Tag zuvor hatte der letzte Kaiser, Karl I., unter sehr viel Druck auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften verzichtet.

Die Stadt Wien hat sich in den vergangenen Jahren kritischer denn je zuvor mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Heftig umstritten bei Künstler*innen, Politiker*innen und auch bei der Israelitischen Kultusgemeinde waren in den letzten Jahren jene Stätten, die an den ehemaligen Bürgermeister der Stadt Wien, Dr. Karl Lueger (1844 - 1910), erinnern. Unbestritten ist sein Einfluss und sind seine Beschlüsse, Wien erfolgreich zu einer modernen Großstadt zu machen (dies ist ihm wahrlich gelungen), aber der CS-Politiker Lueger, der Rechtswissenschaften(!) studiert hatte, war auch bekennender Antisemit und forderte wiederholt öffentlich zum Mord an Juden auf(!), was auch Kaiser Franz Joseph I. auf den Plan rief, der die Gleichberechtigung aller Bürger*innen unter einem Bürgermeister Lueger nicht gewährleistet sah. Erst nach Intervention des damaligen Papstes, Leo XIII., wurde Lueger im fünften Anlauf vom Kaiser ins Amt des Bürgermeisters berufen.

Zu einer Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Platzes konnte sich auch der aktuelle Bürgermeister, Dr. Michael Ludwig, (noch?) nicht durchringen. Viel eher dürfte es zu einer Neugestaltung des Platzes rund um das Lueger-Denkmal kommen.

Im Ostarrichipark, vor der Österreichischen Nationalbank gelegen, befindet sich seit 2021 eine Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich. Die Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte ist also an einem zentralen Ort, wo des Schicksals der tausenden Opfer gedacht werden kann. Im Park findet sich eine ovale Form aus Steinmauern, in welche die rund 65.000 Namen der im Holocaust ermordeten österreichischen Jüdinnen und Juden eingraviert wurden. An diese Mauern wagte ich mich nur mit größtem Respekt heran - es ist aufwühlend, diese schweigenden und zugleich mahnenden Mauern zu betrachten. Und ich erinnerte mich an Simon Wiesenthal (1908 - 2005), den durchaus auch heftig diskutierten Ermahner - sein mutig und engagiert gelebtes Leben ist untrennbar mit Wien verbunden. Erst vor kurzem habe ich wieder einen Film über Begebenheiten gesehen, die ihn beschäftigt haben.



Mit der österreichischen Seele wusste sich besonders Erwin Ringel zu beschäftigen. Er gilt als der Analytiker eben dieser. Dies brachte ihm nicht nur Anerkennung, sondern auch starken Gegenwind. Ich bin ziemlich sicher, dass Herr Ringel wusste, was er zu erwarten hatte, als er den Österreicher*innen also einen Spiegel vorhielt. So etwas verkraftet die österreichische Seele gemeinhin nur schlecht. Als sein Hauptwerk gilt sein Buch "Die österreichische Seele".

Erwin Ringel, 1921 geboren, vertrat die Anschauung, dass Herr und Frau Österreicher ihre Kinder zu Neurotikern erziehen würden. Als wichtigste Erziehungsziele nannte er Gehorsam, Höflichkeit und Sparsamkeit. Es lässt sich für mich außerordentlich gut nachvollziehen, dass schon lange vor dem zweiten Weltkrieg und auch in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg Generationen von Menschen heranerzogen wurden, deren höchste Errungenschaften darin gipfelten, kranken Systemen unhinterfragt und devot zu dienen.

(Hier der Link zu einem sehr aufschlussreichen Artikel über Erwin Ringels Arbeit aus der ORF-Wissenschaftsredaktion.)

Was ich auch als typisch österreichisch empfinde, ist eine gewisse unverhohlene Freude an Titeln. In meiner Kindheit war es keine Seltenheit, dass eine ältere Dame beim Fleischer ums Eck als "gnä' Frau" oder "Frau Doktor" angesprochen wurde. Promoviert zur Frau Doktor hatten so manche feine Damen allerdings mit Gewissheit nur auf dem Standesamt, das erfuhr man dann durchaus, sobald die soeben noch mit vermeintlicher Ehrerbietung bedachte Dame dem Laden den Rücken zugekehrt hatte.

Ich meine, an dieser Titel-Euphorie ist auch die Monarchie beteiligt. Vor allem Maria Theresia, die nur aufgrund ihrer Verehelichung mit Franz Stephan von Lothringen als "Kaiserin" tituliert, aber nicht zur Kaiserin gekrönt wurde, verstand es, ihre Haus- und Hofbeamten mit Titeln und Orden zu schmücken, da fiel es manchmal auch nicht weiter ins Gewicht, wenn die Löhne eher bescheiden ausfielen. Die Posten waren jedenfalls begehrt, nicht zuletzt deshalb, weil man ein Anrecht auf eine Pension hatte.


Nach soviel Ernsthaftigkeit an dieser Stelle noch ein anderer Wiener Schauplatz, den ich hier erwähne, ohne dafür von jemandem aufgefordert worden zu sein. Aber offensichtlich liebt der Wiener die Farbe Rosa, anders kann man sich den Erfolg dieser traditionsreichen Stätte, an der sich Einheimische wie auch Gäste aus Nah und Fern einfinden, um sich an der Mehlspeistheke der Qual der Wahl zu stellen, nicht erklären. Wenn ich mich nicht irre, befinden sich allein in Wien rund 30 Filialen dieser Konditorei, die auch dadurch Aufsehen erregen, dass die Farbe Rosa konsequent in ihr Erscheinungsbild und das ihrer Angestellten eingebunden ist. Einst war ein ausgebildeter Zuckerbäcker also von Nordböhmen aus auf Wanderschaft gegangen. Er ließ sich in Wien nieder und begründete nach seiner Gesellenzeit und Heirat mit seiner Rosa im Jahr 1913 seine eigene Chocolaterie und Konditorei, die den Titel „AÏDA“ bekam. Der Name ist übrigens Programm, denn Josef Prousek liebte die Oper. Natürlich gibt es auch eine Filiale unweit der Wiener Staatsoper.

Es ist nun nicht das typische Alt-Wiener Kaffeehaus der alten Tradition, das ich so besonders liebe, auch wurden wir, obwohl wir an einem Wochentag zugegen waren, mehr durchgewinkt als bewirtet, aber Speisen und Getränke waren in Ordnung. Auch mein Staunen über bemerkenswerte Menschen an solchen Orten durfte ich ein klein wenig ausleben. Eine süße Rast ist also durchaus - ich gebe es auch gerne zu - Balsam für meine Seele :-)

Es blieb noch Gelegenheit, ein paar Fotos zu machen, bevor wir uns wieder auf den Straßen Wiens befanden.

So schließt sich nun der Kreis; unser Spaziergang durch Wien, mit einigen Seitenblicken auf die österreichische Seele, ich lasse ihn hier enden.



Fotos: C*

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