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Schöne Welt



Patriarchale Verhaltensmuster und Glaubenssätze fließen mehr in unser aller Leben ein, als uns das lieb sein kann. Frauen leiden erschöpft unter den Auswüchsen einer Gesellschaft, in der sie sich immer wieder auf vielen Ebenen beweisen müssen, ohne dafür jenes Gesehenwerden zu erfahren, das Männern so selbstverständlich zufällt.


Die Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach widmet sich in ihrem Buch "Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit", erschienen im Droemer Knaur Verlag, allgegenwärtigen Feindseligkeiten gegen Frauen und zeichnet eindrucksvoll und nachvollziehbar nach, wie Frauen auf vielfache Weise beansprucht werden.

Fürsorge, Sexualität und Reproduktion ortet sie als jene drei Bereiche, in denen Frauen unbedingt frei sein müssen, um Männern nicht mehr unterlegen zu sein.

Als Frau in einer patriarchal geprägten Welt zu leben, bedeutet, sich allgegenwärtig Abwertungen stellen zu müssen, die sich permanent auf ein Selbstbewusstsein auswirken, das ohnehin in seiner Basis tendenziell geringer ausgeprägt ist als bei Männern.

Sorge- und Pflegearbeit wird von Frauen erwartet und erledigt und die Gesellschaft hält weiter an einem längst überholten Frauenbild fest. Sehr viel Verantwortung dafür tragen nach meiner Beobachtung auch sämtliche Weltreligionen, in deren Führungsgremien alte Männer - in Frauenkleidern! - sitzen und dafür sorgen, dass verstaubte Frauenbilder nicht an Bedeutung verlieren. Leider gelingt dies immer noch eindrucksvoll, weltweit ist auch zu beobachten, dass rechte Parteien, die diese Frauenbilder ebenfalls hochhalten, an Stärke wieder zulegen.

Wie kann es gelingen, dass wir uns endgültig von patriarchalen Strukturen befreien? Zunächst einmal in der notwendigen Erkenntnis, dass das Patriarchat der Gegenwart oft gut getarnt ist. Also tut ein kritischer und klarer Blick immer not, um jahrtausendealte Strukturen mit Nachdruck aufzubrechen und zu beseitigen. Weniger gut getarnt treten patriarchale Strukturen zutage, wenn wir die erschreckenden Statistiken hören und lesen, in denen Gewalt an Frauen und Kindern dokumentiert werden.

Es drängt sich mir, wie so oft, der Gedanke auf, den Wert von gelebter Frauensolidarität zu erkennen, zu stärken und diese Solidarität unbedingt auch aktiv zu leben. Viel zu häufig kann ich leider beobachten, dass sich Frauen gegenseitig schaden, anstatt einander beizustehen! Auch in Hinblick auf eine gendergerechte Sprache finde ich es befremdlich, wenn ein Einsatz dieser Sprache gerade von Frauen heftig kritisiert wird. Ich selbst setze eine genderbewusste Sprache überzeugt ein und ich behaupte, sie kann durchaus derart verwendet werden, dass sie gut lesbar ist. Sprache ist das Tor zur Welt, sie formt das Verhalten von Menschen und ist daher ein Motor, das Leben von Menschen zu beeinflussen - ob nun auf positive oder nachteilige Weise. Wenn wir neu handeln wollen, müssen wir also auch ganz bewusst eine neue Sprache anwenden.


Mein Filmtipp an dieser Stelle - und ich wünsche diesem Film auch den diesjährigen Oscar in der Rubrik "Bester Internationaler Film":

In seinem höchst spannenden Spielfilm "Holy Spider" ("Spinnenmörder") bildet der iranische Regisseur Ali Abbasi eine Welt ab, die leider nicht auf seiner Fantasie basiert. Er thematisiert die aufreibende und gefährliche Arbeit einer Journalistin rund um die grausamen Verbrechen eines Serien-Prostituiertenmörders. Der Film spielt in Maschhad, der zweitgrößten iranischen Stadt - der Inhalt basiert auf wahren Begebenheiten: Der Film "orientierte sich an einem wahren Fall von Serienmorden in den Jahren 2000 und 2001, über den der Filmemacher und Menschenrechtsaktivist Maziar Bahari unter anderem in einem Film berichtet hatte, als der Bauingenieur Saeed Hanaei 16 Prostituierte in Maschhad ermordete. Hanaei verteidigte sich nach seiner Festnahme, er habe heilige Arbeit verrichtet und die Stadt vor moralischem Verfall bewahren wollen. Religiöse Hardliner und Kommentatoren konservativer Zeitungen forderten seine Freilassung. Er wurde aber dennoch zum Tode verurteilt und hingerichtet." (Quelle: Wikipedia)

Regisseur Abbasi gelingt mit seinem Spielfilm, der übrigens in Jordanien gedreht wurde (weil Abbasi in der Türkei keine Drehgenehmigung erhielt), ein zutiefst kritisches und zugleich packendes Portrait der iranischen Gesellschaft, davon konnten wir uns aktuell im Kino überzeugen. Ali Abbasi zeigt schonungslos die schier bodenlose Doppelmoral einer von religiösen Hardlinern angeführten Männer-Bastion.

Dass sich der Mörder mit den Worten "Ich bin kein Mörder, ich bin der Dschihad gegen Sittenlosigkeit" vor Gericht verteidigt, findet in seiner Familie, in der Nachbarschaft und in der Öffentlichkeit größten Widerhall. Auch seine Ehefrau bekennt sich weiterhin zu ihm und erfährt in den Reaktionen der Umwelt jene Unterstützung, um daran glauben zu können, dass ihr Mann bereits wenige Tage nach seiner Verhaftung wieder frei sein werde.

Nicht sonderlich überraschend, dass der kindliche Sohn des Mörders auch zu verstehen gibt, dass er möglicherweise die Taten seines Vaters fortsetzen werde. Am Ende des Films führt der Sohn des Serienmörders an seiner kleinen Schwester vor, wie sein Vater seine Opfer ermordet hat. Gerade diese Szenen fand ich besonders bedrückend: An diesen wird nämlich sehr deutlich, wieviel Normalität der Frauenhass in diesem Land erfährt!


Es ist unerträglich, dass im Iran Frauen getötet werden, weil sie beispielsweise Kleidungsvorschriften nicht exakt einhalten, während ihre Mörder von der Gesellschaft hofiert werden. Mit solchen und ähnlichen Taten steht dieses Land nicht alleine, Gewalt dieser Art gegen Mädchen und Frauen ist auch in anderen Regionen dieser Welt Dauerthema. Dieses System, das beispielsweise im Iran wie auch in Afghanistan eine ganze Gesellschaft dazu erzieht, Mädchen und Frauen zu verachten, zu unterdrücken und zu töten, speist sich aus den jahrhundertelangen Ansprüchen einer vermännlichten Religion und einer ebensolchen Kultur, die quasi mit der Muttermilch von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Wenn sich Frauen eine gerechte, lebenswerte und schöne Welt wünschen, ist es an der Zeit, auch selbst tätig zu werden und zu bleiben. Und das geschieht, Frauen gehen aktuell gerade im Iran auf die Straße - für diese mutigen Frauen ist dies allerdings jederzeit mit tödlichen Gefahren verbunden.


Wie kann es überhaupt gelingen, eine freundliche Welt für alle Menschen zu erschaffen? Ich werde nicht müde, meine Überzeugung immer wieder zu transportieren: Eine neue Ordnung in dieser Welt erreichen wir nur, wenn wir die ersten Schritte dazu bereits in unseren Kinderbetreuungseinrichtungen setzen ...

Bild: Ich danke sehr herzlich A. D., dass ich das wunderbare Bild für diesen Artikel verwenden darf. Das Bild symbolisiert in meinen Augen auf perfekte Weise die eine schöne Welt, von der ich träume ... Auch (innere) Bilder können die Welt verändern!

12 Kommentare

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12 Comments


Rosa Ananitschev
Rosa Ananitschev
Feb 08, 2023

Liebe S Stern!


Das ist wieder ein großartiger und kritischer Artikel von Dir. Schlimm, wie viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit es noch in unserer Welt gibt. Ich habe das Gefühl, Diskriminierungen und Gewalt nehmen immer mehr zu. Es ist so traurig, dass Menschen noch nicht verstanden haben, dass wir alle gleich sind, mit gleichen Rechten, ob Frau oder Mann, Schwarz oder Weiß. Und es wird noch lange so bleiben, vielleicht bis zum bitteren Ende der Menschheit. Ob wir irgendwann eine schöne Welt haben werden? Wenn ich nach Russland blicke und nur die furchtbaren Fotos mit Kindern in Uniform und ihren stolzen Müttern sehe, dann verliere ich den Glauben daran.


Das Internet ist voll davon, da stoppt die erwachsenen Idioten nicht einmal…


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C*
C*
Feb 11, 2023
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Liebe Rosa,

ich vermute, der Mensch war immer schon grausam im Umgang mit anderen Menschen, spätestens ab dem Zeitpunkt, als er "mein" und "dein" unterschied.

Menschen, die Menschen in Kriegen getötet haben, mussten ihren Opfern im ersten Weltkrieg (als Beispiel) noch sehr nahe kommen. Heute wird hauptsächlich aus der Luft Krieg geführt, auch mit Drohnen und anderen Maschinen, man ist mit seinem Gegner nicht Auge in Auge. Es fällt also eine Hemmschwelle weg.

Dazu kommt, dass medial weitaus umfassender und auf vielen Ebenen berichtet wird, was vor 100 Jahren so noch nicht der Fall war. Wir sind also überall live dabei und das bringt uns die Brutalität der Menschen jeden Tag ins Wohnzimmer.

Verbring einen guten Abend,

liebe Grüße, C…


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Kleiner Staudengarten
Kleiner Staudengarten
Feb 07, 2023

Wieder ein sehr berührender und nachdenklich machender Post, der die Realität und die unhaltbare Situaltion widerspiegelt in der Frauen leben.

Lieben Gruß und einen gemütlichen Abend wünscht dir Marita

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C*
C*
Feb 07, 2023
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Ja, es sind unhaltbare Zustände an viel zu vielen Orten dieser Welt - und dennoch unterstützen auch Frauen Männer in ihren Taten, weil sie das Freisein nicht mehr gewöhnt sind. Sie halten für richtig, was die religiösen und kulturellen Traditionen vorgeben.

Es ist schwierig, solche Strukturen aufzubrechen, daher braucht es Ausdauer, viel Mut und auch einen starken und unbeirrbaren Willen zum Wandel.

Ganz liebe Grüße!

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Roswitha
Roswitha
Feb 07, 2023

so lange hat es gebraucht, bis wenige schritte zur gleichberechtigung getan wurden, trotz vieler mutiger frauen in hundert jahren. und nun gibt es rückschritte, weil menschen zu uns kommen, die diese entwicklung in ihrem land nicht erlebt hatten. ich bin da etwas unnachgiebig, z.b. was sportunterricht für mädchen betrifft, oder klassenfahrten. viele gedanken in deinem text habe ich auch, und was nicht vorkommt in der sprache, scheint auch nicht existent, z.b. bei berufsbezeichnungen. ich wünsche eine angenehme woche, grüsse von roswitha

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C*
C*
Feb 07, 2023
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Ich erlebte über viele Jahre tagtäglich, was es heißt, in diesen Kulturen sieben-, acht-, neunjährige, ..., Mädchen davon zu überzeugen, dass sie in Europa nicht verheiratet werden dürfen, dass sie nicht geschlagen werden dürfen, dass sie gleichwertige Menschen sind, usw. Wir haben hier auch eng mit der Polizei zusammengearbeitet, ebenso wie mit Streetworkern und Sozialarbeiter*innen.

Es war allerdings fast ausschließlich Sisyphusarbeit, die uns mitunter auch in bedrohliche Situationen brachte. Wer bei uns leben will, soll auch bis zu einem gewissen Grad mit uns leben. Ich erwarte keine Anpassung im Sinne dessen, die eigene Kultur aufzugeben. Das wäre ja auch schade. Bei uns gibt es allerdings Sport- und Schwimmunterricht für alle Kinder, auch Mädchen dürfen Fußballspielen oder mit dem Fahrrad fahren…

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Brigitte Fuchs
Brigitte Fuchs
Feb 05, 2023

Danke für diesen eindringlichen und wichtigen Appell für ein neues, respektvolles und humanes Frauenbild.

Ja, es liegt an uns allen, die Weichen anders zu stellen und uns gegen jede Bevormundung und Beschränkung als Mensch und als Frau zu wehren.


Liebe Sonntagmorgengrüsse,

Brigitte

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C*
C*
Feb 05, 2023
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Liebe Brigitte,

ich glaube daran, dass viele kleine Schritte, die global getätigt werden, das große Ganze unterstützen. Es ist wichtig, auch eine oft vorhandene Komplizenschaft von Frauen mit Männern aufzudecken. Wie kann es sein, dass eine Frau den Mord an einer anderen Frau für richtig befindet?


Herzliche Grüße in einen schönen Abend,

C Stern

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