Soweit ich mich zurückerinnern kann, haben mich immer schon Filme und Bücher interessiert, die mit Indianern zu tun hatten. Als junges Mädchen war ich natürlich beeinflusst von den Verfilmungen der Werke von Karl May, die besonders im vergangenen Jahr auffällig thematisiert wurden. Darauf möchte ich an dieser Stelle allerdings nicht näher eingehen, das ist ein anderes Thema.
Wenn Karl May schon nicht im "Wilden Westen" war, so hat er dennoch höchst erfolgreich ein Land betreten, zu dem anderen Menschen ein Zugang verwehrt bleibt: Ihm war wohl ein weitreichender Zugriff auf seine Fantasie möglich und er bediente sich auch seiner Begabung, seine fantastischen Ideen in - aus meiner Kinder- und Jugendsicht - höchst spannende Geschichten fließen zu lassen, damit hat er die Herzen vieler Leser*innen erobert. Später sollte es dann Pierre Brice sein, der mit seinem guten Aussehen und seinem edlen Auftreten viele weibliche Herzen höherschlagen ließ und wohl auch so einige Männer für die Winnetou-Filme einnahm.
Nun ist mir längst bewusst, dass mir das Leben und die Kultur der Ureinwohner Amerikas mit den Geschichten rund um Winnetou nicht sonderlich authentisch nähergebracht wurden, allerdings wurde mein Interesse für jene Menschen auf dieser Welt, die im Einklang mit der Natur leben, auf jeden Fall nachhaltig geweckt!
Ganz eindrücklich kann ich mich noch an eine kurze Begegnung der visuellen Art mit einem Mann erinnern, der in der ursprünglichen Kleidung eines Indianers im Straßenbild eines Urlaubsortes auftauchte: Der Mann war nicht verkleidet, sondern tatsächlich in seiner traditionellen Kleidung unterwegs. An diesem Ort, an dem ich mich aufhielt, gab es wohl ein Symposium - so jedenfalls würde man Begegnungen zu einem bestimmten gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Thema heute nennen. Ich denke, in erster Linie gab es schon vor über fünfunddreißig Jahren die Begeisterung für vieles, was in meinem Leben nicht unmittelbar Platz fand.
Vor Jahren habe ich zu einem Buch von Marlo Morgan, einer Ärztin und Autorin, gegriffen, das ihre angebliche Begegnung mit einem Stamm von australischen Ureinwohnern zum Thema hat, der Buchtitel lautet "Traumfänger". Ich bin ziemlich sicher, dieses Buch mindestens zweimal gelesen zu haben. Es erfreute sich einst bei Menschen, die das Leben gerne aus ganzheitlicher Sicht verstehen wollen, großer Zustimmung.
Die Autorin musste aber auch herbe Kritik für ihr Buch einstecken, ging es doch um einen Rechtsstreit, ob die geschilderten Begegnungen nur auf Morgan's reicher Fantasie fußten oder etwa doch in der geschilderten Weise (oder so ähnlich) stattfanden. In meiner deutschen Ausgabe von Anfang 1998 tat die Autorin noch als "Reisende Zunge" kund, ihr Buch basiere auf Tatsachen, sie wolle allerdings die Menschen, mit denen sie sich auf eine aufregende Reise begeben habe, schützen. Ich habe jedoch Quellen gefunden, wonach sie bereits im Jahr 1996 zugab, der Inhalt des Buches sei reine Erfindung (leider offensichtlich auch eine werbetechnische Maßnahme für ihre Naturprodukte). Eine Verfilmung des Buches wurde von einigen Aborigines jedenfalls verhindert, weil sie sich falsch dargestellt fühlten.
Der Walkabout, den Marlo Morgan in ihrem Buch als Ich-Erzählerin zusammen mit einem Stamm australischer Ureinwohner unternimmt, wird als eine Wanderung durch den australischen Busch geschildert, welche die Menschen lehren soll, (wieder) auf ihre innere Führung und Weisheit zu achten. Gleichzeitig soll auch das Vertrauen in die eigenen Begabungen und Talente gestärkt werden.
Bücher und Filme dieser Art sind erfolgreich, was Verkaufszahlen betrifft - was kann die Ursache dafür sein?
In immer mehr Menschen regt sich Sehnsucht nach einer heilen Welt, fernab von Gewalt, Kriegen, Hungersnöten, Umweltzerstörung. Unsere hochtechnisierte Welt lässt Menschen kaum mehr zu Atem kommen und zugleich spüren wir klirrende soziale Kälte als Folge all dieser höchst bedenklichen Entwicklungen. Unser Bildungssystem versagt gerade in diesem Punkt, in jungen Menschen soziale Kompetenzen zu fördern und zu manifestieren - dafür entwickeln Kinder bereits im Volksschulalter technische Fertigkeiten, die sie mühelos Smartphones und Tablets bedienen lassen.
Wahr ist: Wenn ein Kind geborgen lebt, lernt es zu vertrauen. Urvertrauen ist eine Grundvoraussetzung auf dem Weg zu Respekt und Menschlichkeit. Geborgenheit fühlt ein Kind in einer intakten menschlichen Umgebung und als dieser Ort der Wärme und des Schutzes gelten leider viele Familien nicht mehr.
Vielfach bringen sich Menschen selbst um die Basis ihrer liebevollen Beziehung zu sich selbst und zur Natur, sie fühlen sich zunehmend unter massivem Druck von den Mühlen einer Weltordnung, die in allem, was lebt, nur noch Material erfasst: Der Mensch, das Tier, die Umwelt - Material Mensch, Material Tier, Material Umwelt. Materialien werden ausgebeutet, ausgeblutet, ausgeschöpft - bis zur endgültigen Erschöpfung, bis nichts mehr davon übrig ist. "Der Mensch hat das Netz des Lebens nicht gewebt, er ist nur ein Strang dieses Netzes. Was immer er dem Netz antunt, tut er sich selbst an." (indianische Überlieferung)
Wann hat diese Entwicklung begonnen?
Nicht erst mit der Industrialisierung und dem heute allgegenwärtig zu beobachtenden Innovationswahn, da bin ich sicher. Die Wurzeln dafür liegen aus meiner Wahrnehmung sehr viel tiefer und reichen in meinem Verständnis weit zurück.
Wir können inzwischen mit gesicherten Erkenntnissen davon ausgehen, dass die Wiege der Menschheit in Afrika liegt. Das Leben der ersten Menschen war kurz und gefährlich - Infektionen, Parasiten, Krankheiten, wilde Tiere als Bedrohung für Leib und Leben, die Gefahr für Mutter und Kind, bei einer Geburt zu versterben - dies alles und noch mehr fanden die frühen menschlichen Wesen als Lebensgrundlagen vor.
Die ersten Hominidenfunde, die älter als zwei Millionen Jahre alt sind, stammen aus Afrika. In Afrika gab es natürlich auch einige einschneidende klimatische Veränderungen, welche die Entwicklung unserer frühesten Vorfahren offensichtlich nachhaltig beeinflussten. Die ersten menschlichen Wesen ernährten sich wohl von wilden Pflanzen, Raupen, Maden und dem, was Raubtiere nach der Tötung ihrer Beute übrig ließen. Ein folgender Wechsel vom Jäger und Sammler zu einer häuslicheren Lebenweise brachte schließlich auch eine agrarische Lebenswelt mit sich: Spätestens mit dieser neuen, eher sesshaften Lebensweise hat in meiner Vorstellung erstmals auch ein Ansatz Raum, der Grund und Boden in "dein" und "mein" teilt: Die Bevölkerungszahl wuchs und damit einhergehend auch der Druck, mit den vorhandenen Ressourcen das eigene Leben zu bestreiten. Aus einem Gefühl der Zusammengehörigkeit erwuchs die Idee der Individualisierung. Der Mensch blieb von seiner Lebensweise her immer noch ein grundsätzlich soziales Wesen, doch er fand mehr und mehr Gefallen daran, sich dem Konkurrenzieren zu öffnen. Erste Risse auf ehemals gemeinschaftlichem Raum und Boden könnten vor so langer Zeit entstanden sein, durch welche das Gift des Konkurrenzwesens langsam einsickern konnte.
Gegenwärtig sind wir längst an einem dramatischen Punkt auf diesem Planeten angelangt: Erkennen wir endlich, dass das Netz des Lebens nur dann Bestand hat, wenn die einzelnen Stränge dieses Netzes miteinander verbunden bleiben?
Einem Traumfänger möchte ich meine dunklen Träume, die der Nacht und des Tages, übergeben. Ich wünsche mir, dass sich meine Träume in den Fäden des Kreises verheddern und mit dem Licht des neuen Tages neutralisiert werden. Geträumtes, das mir Zuversicht, Hoffnung und Freudvolles bringt, mag sich als gutes Omen seine Wege bahnen. So sollen nicht nur die Ureinwohner Amerikas, sondern auch die Ureinwohner Australiens als erste Menschen mit Traumfängern vertraut gewesen sein, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Die Indianer und zunächst auch die Aborignies fertigten kunstvolle Traumfänger aus Naturmaterialien, während sich die Aborigines mit ihren Träumen später an eine Seelenfrau wandten, um ihre Träume verstehen zu lernen.
Gemeinsam war den Ureinwohnern Amerikas und Australiens, dass sie ihrer Lebensräume von feindlichen europäischen Eindringlingen, die angeblich "den Fortschritt" bringen wollten, beraubt und aus ihnen vertrieben wurden. Viele Lebensgeschichten (ein Link zu einem lesenswerten Bericht!) gleichen Tragödien, die heute oftmals mit Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit einhergehen.
Das Uhrwerk
Die Städte sind gefallen und wurden eins.
Fortschritt bestimmt das Dasein.
Menschen wurden zu Nummern und Angst zu ihrem Antrieb.
Freie Gedanken, Lust und Liebe unterliegen der Zensur.
Millionen gehen diesen Weg, vom Anfang bis zu ihrem Ende.
Wirst auch du diesen vorgegebenen Weg gehen oder gehörst du zu denen,
die sich erheben in diesen modernen Zeiten?
(Der Graf - "Moderne Zeiten" - Unheilig)
Bild: Alexas_Fotos, Pixabay.com
Liebe C Stern, dein Text berührt und betrifft mich wieder sehr, denn vieles, das du schilderst, habe ich ähnlich wie du erlebt – sowohl die Karl-May-Geschichten und ihre Verfilmungen mit dem hübschen, edlen Winnetou als auch das Traumfänger-Buch haben meine Wege gekreuzt. Ich wusste bisher nicht, dass Marlo Morgan mittlerweile ihr Buch als Erfindung geoutet hat; für mich steckte da doch einiges an Weisheit drin. Und ich denke, den Trick, bei Durst einen glatten Stein in en Mund zu stecken, habe ich auch aus diesem Buch. Vielleicht hat sich Frau Morgan einfach ihrer Fantasie bedient, um weise Erkenntnisse zu transportieren. Das haben andere Autoren vor ihr auch schon gemacht. Ein Buch, das mich ebenfalls sehr beeindruckt hat und (wie ich…
Liebe CStern,
vielen Dank für deine immer so lebensnahen, nachdenklichen und vielfältigen Texte und den gesellschaftskritischen Blick. Ich sehe viele Parallelen auch in meinem Umfeld und bin sehr bemüht mich auf das Wesentliche im Leben zu besinnen. Und mein direktes Umfeld ein wenig daran teilhaben zu lassen.
Ich hoffe nun klappt es mit dem Kommentar...vielen Dank für deine, habe dir auf meinem Blog dazu geschrieben.
Lieben Gruß Marita