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BeSonderlinge - wie sie die Welt fühlen




Es war einmal ein Prinz, der wollte eine besondere Frau heiraten. Es sollte eine wirkliche Prinzessin sein.

Doch wie sollte er diese Besonderheit herausfinden? Wie sollte er unter all den Anwärterinnen die eine und einzige besondere Frau finden? Eines Abends stand eine junge Frau vor dem Stadttor, die so gar nicht wie eine Prinzessin aussah, denn sie war in ein Unwetter geraten - und doch behauptete sie, sie sei eine wirkliche Prinzessin.

Da griff die Mutter des Prinzen zu einer List, sie legte der Prinzessin eine Erbse unter zwanzig Matratzen, über die noch weitere zwanzig Daunendecken kamen. Am nächsten Morgen befragt, wie sie geschlafen habe, meinte die junge Frau, sie habe schlecht geschlafen, denn sie sei auf etwas schrecklich Hartem gelegen. Ihr Körper sei übersät von blauen Flecken. Der Prinz wusste, dass nur eine wirkliche Prinzessin so empfindsam sein konnte, und so wurde diese besondere Frau seine Ehefrau.

(Zusammenfassung: "Die Prinzessin auf der Erbse", Hans Christian Andersen)


Dieses Märchen wird immer wieder als beispielgebend verwendet, wenn sich Menschen ein Bild davon machen sollen, wie hochsensible Menschen die Welt fühlen.

Bereits als Kind war es mir höchst unangenehm, wenn ich von meiner Mutter aus raue, enge und kratzende Pullover und Strumpfhosen tragen sollte. Ich erinnere mich an meine kindliche Verzweiflung, dass meine Wahrnehmungen nicht ernstgenommen wurden. Als kleines Kind konnte ich mich nicht ausreichend zur Wehr setzen, später konnte ich meinen Widerwillen gegen diese Art von Kleidung so deutlich machen, dass die leicht aufzutreibenden angenehmeren Kleidungsstücke schließlich auch gekauft wurden.


Ein Mensch, der sich auf die Suche nach Erklärungen für seine intensiven Wahrnehmungen seiner Umwelt begibt, hat vermutlich schon von Elaine Aron gelesen. Aron begann 1996, den Themenkomplex "Hochsensibilität", für den sie heute als Pionierin gilt, zu untersuchen.

Als "hochsensibel" gelten Menschen, denen eine „höhere sensorische Verarbeitungssensitivität“ bescheinigt wird. Jene Menschen erleben und verarbeiten Reize anders und intensiver, was ihre menschliche Umwelt durchaus mitunter dazu veranlasst, diese Menschen als "dünnhäutige Sonderlinge" mit Worten zu erniedrigen. Dies lässt sich häufig auch im Berufsleben beobachten. Selbst Kinder können bereits Opfer von Mobbing werden, sofern sie "anders" sind als ihre SpielkameradInnen und MitschülerInnen, wie der Roman "Milchblume" eindrucksvoll beschreibt. Nicht selten, dass meine Ohren vernehmen, wie Mädchen beispielsweise als "Prinzessin", "Heulsuse" und "Sensibelchen" vor anderen gemaßregelt werden, wenn sie sich als gefühlsbetont offenbaren. Nicht anders ergeht es Buben, oft etwa als "Warmduscher", "Weichei" und "Schwuli" beschimpft. Hochsensible Buben werden übrigens eher ausgegrenzt als hochsensible Mädchen, da ihr Verhalten, das sich (leider noch immer!) dem klassischen Rollenbild eines Mannes annähern soll, den Erwartungen nicht immer standhält.

Als besonders wichtig für das Wohlgefühl hochsensibler Kinder wie Erwachsener erlebe ich das Einbringen von Ritualen und Routinen. Vertraute Abläufe und klare Strukturen in größtmöglicher Ruhe geben Sicherheit und vermitteln Geborgenheit. In so einem Umfeld können hochsensible Menschen früh als großartige Gestalter der Welt beobachtet werden, denn sie verfügen über eine oft herausragende Kreativität.

Hochsensibel und / oder hochsensitiv zu sein, bedeutet übrigens nicht, krank zu sein. Viel zuoft finden sich dazu Aussagen, die ich nicht allein deshalb von mir weise, weil sie mein eigenes Sein verurteilen, sondern auch, weil es sich schlichtweg um keine Erkrankung handelt. Wahr ist allerdings, dass auf eine ausgewogene Work-Life-Balance zu achten ist. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass ich mich bevorzugt in einem Beruf sehe, also einer Be*ruf*ung nachgehend - Jobs sind meine Sache nicht. Ich bin eine gute Teamplayerin, auch, weil mir Fairness und Selbstverantwortung für mein Handeln sehr viel bedeuten. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass ich mich mehr und mehr nach Möglichkeiten orientiere, mich selbstständig zu machen.

Fühle ich mich wohl bei meinen Tätigkeiten, so kann mein Arbeitgeber definitiv eine überdurchschnittlich hohe Leistungsbereitschaft von mir erwarten, dies verbunden mit einer hochprofessionellen Einstellung. Aufgaben erfülle ich mit dem Bewusstsein, für meine Gaben dankbar zu sein.

Nicht selten höre ich, dass ich ein überdurchschnittlich hohes Verantwortungsgefühl für Vorgänge, Situationen und Herausforderungen in meinem Arbeits- und Lebensumfeld bzw. für andere Menschen habe. Was daraus folgt, sind häufige Entscheidungsprozesse; ein Selektieren, was wichtig ist, was sofort passieren muss - und was noch warten oder sogar abgegeben werden kann - letzteres fällt mir allerdings schwer. Ich nehme Verantwortung und Zuverlässigkeit auch unaufgefordert auf mich, das spüren die Menschen auch, und daher muss ich mich vor Energievampiren definitiv schützen!


Hochsensibilität oder Hochsensitivität?

Oft werden diese Begriffe nicht unterschieden. Ich persönlich sehe das nach vielen Jahren an eigenen Erfahrungen anders.

Hochsensibilität verbinde ich mit einer deutlich feineren Ausprägung aller fünf körperlichen Sinne: Daraus können sich sehr unterschiedliche Vorlieben und Abneigungen ergeben. Töne, Klänge, Gefühltes, Gerüche, Geschmäcker und Farben können zu wahren Reizüberflutungen (mit positiven wie negativen Folgen) führen.

Als positiv möchte ich alles beschreiben, was mich in einen Zustand des tiefen Staunens und der großen Dankbarkeit bringt: Natur, ebenso wie Musik, Bücher, Filme, Bilder, Skulpturen, alte Architektur - oder auch ein köstliches Mahl, das ich mit Hochgenuss zu mir nehme.

Reizüberflutungen, die von hochsensiblen Menschen mit Negativität verbunden werden, gehen oft mit der Sehnsucht nach Natur und Stille oder überhaupt Rückzug und Schlaf einher.

Wenn diese Bedürfnisse nicht zeitgerecht gestillt werden können, tritt mitunter ziemlich unmittelbar der Körper als Regulativ auf, er vermeldet tiefe Müdigkeit, Kopfschmerzen, Augenbrennen, Magen- und Darmverstimmungen, innere Unruhe, Kreislaufbeschwerden, Herzrasen, usw.

Meine Erfahrung ist: Wer seine Bedürfnisse dauerhauft hintanstellt oder sogar ignoriert, muss mit gesundheitlichen Folgen rechnen.

Hochsensitivität bedeutet, über einen sogenannten "sechsten", "siebten" und sogar "achten" Sinn zu verfügen. Hellsichtigkeit, Hellhörigkeit und Hellfühligkeit befähigen zu größter Empathie, die mitunter auch zu medialen Fähigkeiten führt. Auch bezüglich Medialität habe ich bereits Erstaunliches an mir selbst erlebt, was zunächst zu großer Verunsicherung und auch zu tiefen Erschöpfungen meinerseits geführt hat. Mittlerweile kann ich Derartiges besser einordnen, ich erlebe mich allerdings auch nach Jahren der gelebten Medialität noch als sehr zurückhaltend, meine Wahrnehmungen anderen Menschen kundzutun. Ich achte sehr darauf, wem ich mich anvertraue - und das hat seinen guten Grund: Ich verwehre mich dagegen, mich in eine bestimmte Schublade (Esoterik) drängen zu lassen. Allerdings: Ich empfinde mich als ganzheitlich denkenden und handelnden Menschen mit einem überdurchschnittlich kritischen Bewusstsein für meine Gedanken und Handlungen und ihre Auswirkungen.

Nicht wenigen Menschen machen mediale Begabungen ihrer Mitmenschen durchaus Angst, sie benehmen sich dann mitunter auffällig negativ. In der Zeit, in der ich meine medialen Zugänge zu verschiedenen Bereichen erstmals bewusst wahrgenommen habe, hat sich übrigens auch mein Zugang zu meiner Spiritualität radikal geändert: Der Glaube an eine schöpferische Kraft als unergründlicher Motor hinter allem Sein ist längst von der Mitgliedschaft in einer (die Menschen unterdrückende) Religionsgemeinschaft entkoppelt.

All die erwähnten Besonderheiten führen übrigens auch oft im familiären Umfeld zu gewaltigen Irritationen. Dies ist nicht nur meine eigene Erfahrung, sondern sie dringt auch immer wieder im Austausch mit anderen Hochsensiblen an meine Ohren. Auch die Familie kann als Ort erlebt werden, an dem man sich nicht oder nicht mehr beheimatet fühlt. Als großer Segen können sich Seelenverwandte anfühlen, mit denen tiefe, liebevolle und (vor-)urteilsfreie Beziehungen möglich sind.


Eine klare und ehrliche Kommunikation ist mir auch herausragend wichtig, und ich kann zwischen ehrlich gemeinten Komplimenten und solchen, die manipulierend wirken, deutlich unterscheiden; so, wie ich auch (subtile) Stimmungen unter Menschen sehr schnell wahrnehme.

In puncto Kommunikation sind mir jede Künstlichkeit und jede Affektiertheit ein Gräuel. Theatralik, die dazu dient, andere kleinzumachen, etwas zu verschleiern oder jemanden beeindrucken zu wollen, kommt bei mir gar nicht gut an – und so geht es vielen hochsensiblen Menschen. Übrigens gehe ich auch nicht ins Theater, Bühnen als Orte von eigenartigen Begegnungen und Verwicklungen jeglicher Art reichen mir im täglichen und realen Leben. Überhaupt schätze ich im Umgang mit Menschen die Fähigkeit zur Distanzwahrung, auch in körperlicher Hinsicht. Nicht erst seit Beginn der Pandemie empfinde ich es als anstrengend, wenn mir andere zu nahe kommen. Aufgrund meiner deutlich ausgeprägten Wahrnehmungen von körperlichen Ausdünstungen oder auch von anderen Gerüchen (z.B. Parfum, das zu intensiv benützt wird) halte ich mir Menschen gerne vom Leibe. Überhaupt, die „Bussi-Bussi-Gesellschaft“ ist nicht meine Welt, wenngleich ich gelernt habe, das nicht bei jeder (vielleicht nur scheinbaren) Gelegenheit kundzutun. Ich bin wahrhaftig weder schüchtern noch feige, doch ich unterscheide inzwischen einigermaßen erfolgreich, wann ich - und vor allem wie ich - meinen Unmut zu Zwischenmenschlichem oder anderen Themen kundtue. Zuoft hat mich meine Überzeugung, mich (mit relativ wenig Rücksicht auf unangenehme Folgen für mich) zu bestimmten Themen zu äußern, in sehr herausfordernde Situationen gebracht. Das muss nicht mehr unbedingt sein! Es reicht mir inzwischen, zu beobachten und einzuordnen. Meine Kräfte bündle ich lieber für essenzielle Anliegen.

Auch Distanzwahrung im weiten Feld der Kommunikation ist mir immer wieder ein Anliegen, etwa, wenn Ratschläge an meine Adresse gerichtet werden - natürlich von Menschen, die nicht wissen, wie es sich anfühlt, so viel zu spüren. Meine sehr feinen Antennen, nämlich auch für meine eigenen Bedürfnisse, lassen mich vielleicht auf den einen oder anderen exzentrisch wirken, und es dürfte für einige wohl auch verwunderlich sein, dass ich mich besonders in den letzten Jahren mehr und mehr von (vor-)lauten Menschen und Bühnen, auf denen sie auftreten, zurückgezogen habe.

Betrachte ich das Wort "Ex-zentrik" eingehend, dann sehe ich mich durchaus selbst als exzentrisch, nämlich im ursprünglichen Sinne des Wortes: Aus dem Zentrum der Gesellschaft trete ich bewusst und gerne an den Rand, um von dort einen besseren Überblick zu wahren und um mich von den Hamsterrädern der Getriebenheiten fernzuhalten. Nur in der Stille, fernab von selbstverliebten und Fettnapf-affinen SelbstdarstellerInnen (deren Nichtspüren von peinlichen Situationen mir regelmäßig den Schweiß des Fremdschämens auf die Stirn treibt), und nur fernab von Lärm und Hektik kann ich meine Energietanks befüllen. (Stichwort "Lärm": Es gibt Lautes, das von mir gemocht wird, allerdings nur in Ausnahmefällen, mir fällt auch nur ein Beispiel ein: Musik, die mir gefällt, kann ich durchaus leidenschaftlich und laut hören ...)


Ein hochsensibler Mensch muss nicht unbedingt auch hochsensitiv sein und ein hochsensitiver Mensch muss nicht unbedingt gleichzeitig hochsensibel sein. Ich selbst erlebe in meinem eigenen Wesen beide Besonderheiten mit sehr deutlicher Ausprägung, inzwischen mit Demut und meist auch großer Dankbarkeit.

Meine menschliche Umwelt beobachtend und fühlend, kann ich tatsächlich auch festhalten, dass nicht jeder hochsensible Mensch auch gleichzeitig empathisch ist, was die Bedürfnisse anderer Menschen betrifft. Ich bedaure, feststellen zu müssen, dass ich in diesem Zusammenhang auch schon größte Egozentrik erlebt habe.

Ich nehme besonders häufig unter KünstlerInnen Hochsensibilität wahr, mitunter auch verbunden mit geringer Wertschätzung für jene Menschen, die begeistert kaufen oder finanzieren, was ein künstlerischer Mensch zu erschaffen vermag.

Menschen, die eine besonders ausgeprägte angeborene Empfindsamkeit haben, erleben fast immer auch die sie umgebende Natur als inspirierenden und begeisternden Rückzugsort. Logenplätze für die Seele, sie sind unendlich kostbar!

Mitunter werden sich die meisten ihrer Gaben erst im Laufe ihres fortgeschritteneren Lebens bewusst, wie sie sich überhaupt an vielen Lebenskreuzungen vielen Fragezeichen stellen.


Was wünsche ich Menschen, die hochsensibel und / oder hochsensitiv sind?

Von Herzen wünsche ich ihnen, dass sie lernen, ihre Stärken zu schätzen und dankbar anzunehmen - und dass sie in ihren Stärken auch ihre Auf*gaben* erkennen. Der Weg dahin ist tatsächlich oft ein mühsamer, nicht selten sind Körper, Geist und Seele müde und das Herz voller Kummer. Und dennoch, es gibt so unglaublich viele, außerordentlich schöne Momente, in denen wir schon bald erkennen dürfen, wie sehr es sich lohnt, uns selbst ent_decken zu dürfen!

Und wenn wir auf unseren Wegen einigen Menschen vertrauen können, dann fühlt sich unsere Welt sehr freundlich an. Eine Partnerschaft mit einem Menschen zu führen, mit dem die Liebe zu einem Fest wird, ist ein herrliches Geschenk des Lebens.

An abschließender Stelle ein Filmtipp, der mit feinem Humor eine turbulente Liebesgeschichte zwischen zwei wahrlich besonderen Menschen zeichnet.


Bild: Gerd Altmann, Pixabay.com

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Empathie (2)

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