"Es gibt Begegnungen im Leben, die so anregend sind, dass wir unser Bestes zu geben versuchen, aber es gibt auch solche, die uns zermürben und an denen wir zerbrechen können.
Ein Mensch kann einen anderen tatsächlich durch fortgesetztes seelisches Quälen vernichten, was man mit Fug und Recht "psychischen Mord" nennen kann.
Wir sind alle schon auf verschiedenen Ebenen Zeugen solcher Angriffe gewesen, zwischen einem Paar, innerhalb von Familien, in Betrieben oder auch im politischen und sozialen Leben. Trotzdem erweist sich unsere Gesellschaft als blind gegenüber dieser Form indirekter Gewalt. Unter dem Vorwand von Toleranz wird man nachsichtig."
Der Hinweis auf "Die Masken der Niedertracht: Seelische Gewalt im Alltag und wie man sich dagegen wehren kann", Autorin: Marie-France Hirigoyen, findet sich in einem Krimi, den ich gelesen habe.
Unter so einigen "-losigkeiten", die ich mit großem Bedauern an meinen Mitmenschen beobachte, gehören aus meiner persönlichen Einschätzung die Rücksichtslosigkeit und die geheuchelte Ahnungslosigkeit zu den allerschlimmsten.
In seinem wunderbaren Roman mit dem Titel "Milchblume" beschreibt der Autor Thomas Sautner sehr feinsinnig das Leben der BewohnerInnen eines kleines Dorfes namens Legg zum Zeitpunkt der 1950er Jahre. Das dörfliche Leben scheint beschaulich und ruhig zu verlaufen, die Jahreszeiten und das Leben mit der Natur bestimmen das bäuerliche Dasein, althergebrachte Bauernregeln haben einen großen Stellenwert.
Das Wort des Pfarrers und des Bürgermeisters hat Gewicht, gemeinsam mit einigen größeren Bauern treffen sie Entscheidungen für alle DorfbewohnerInnen.
Jakob, der wahrhaft außergewöhnliche Sohn des ewig mürrischen Seifritz-Bauern, wagt als einziger, diverse sonderbare Vorkommnisse zu hinterfragen und so zieht er immer wieder die Abneigung der Dorfgranden auf sich. Dabei bereitet ihm jede Art von Ungerechtigkeit körperliche Schmerzen; Jakob fühlt sich mit der Natur und den Tieren verbunden und stellt tiefsinnige Fragen an das Leben und an die Liebe. Nur zwei Menschen interessieren sich für Jakob, der von der Dorfgemeinschaft als "Idiot", "Hornochs" und "Trottel" verachtet und verspottet wird: Silvia, der leiblichen Tochter des Seifritz-Bauern, ist Jakob in heimlicher Liebe zugetan und Fabio, dem Chef einer Zigeunersippe, kann Jakob vertrauen.
Die meiste Zeit machen sich die Leute über Jakob lustig, den sie für "schwachsinnig" halten, und sie wenden sogar Gewalt gegen ihn an. Dabei beobachtet er, dass die Menschen eigentlich liebesbedürftig sind und er möchte wirklich verstehen, warum Menschen einander quälen und lieblos behandeln.
Obiges Buch habe ich nun wieder einmal gelesen; eingeschlossen meine Erkenntnis darüber, dass der Protagonist Jakob auf heftigste Weise von seinem Umfeld gequält (und gemobbt) wird.
Dass der Autor wohl durch seine sympathischen Romanfiguren vermitteln möchte, in völliger Authentizität könne das Leben gut gemeistert werden, erinnert mich an Gelesenes, dessen Inhalt der Esoterik zugeordnet werden kann. In diesem Zusammenhang kann ich mich meinen kritischen Gedanken nicht verschließen, da ich diese esoterische Lebensweisheit bedauerlicherweise auch in Verbindung bringen muss mit einem gefährlichen Potential zur "Selbstverletzung": Die Lebensrealität hat mich längst eingeholt und mir verdeutlicht, dass man gerade in der Berufswelt ein großes Wagnis eingeht, wenn man sich immerzu geöffnet und verwundbar, mit all seinen Persönlichkeitsanteilen, zeigt, vor allem, was jene Eigenschaften betrifft, welche einen als besonders sensiblen Menschen kennzeichnen.
In meinen Begegnungen mit Menschen erfahre ich immer wieder, dass vielen überhaupt nicht klar ist, mit welchen Handlungen der Tatbestand Mobbing bereits beginnt. Jedenfalls kommt es über einen längeren Zeitraum zu Handlungsweisen, welche von den Betroffenen als verletzend empfunden werden und in der Folge dazu führen können, dass Betroffene eine Beeinträchtigung ihrer Gesundheit erleben.
Auch, wenn der Datenschutz ausgehebelt wird (z.B. wenn Aussagen über die persönliche Lebenssituation oder Gerüchte über den Gesundheitszustand von MitarbeiterInnen verbreitet werden), liegt Mobbing vor.
Mobbing ist definitiv ein strukturelles Problem. Mir ist bekannt, dass Personalverantwortliche vieler Unternehmen und Einrichtungen tatsächlich immer noch Scheuklappen tragen, wenn es um dieses Thema geht. Dazu kommt, dass gerade in großen Betrieben gilt, vorgeschriebene Dienstwege einzuhalten, die natürlich von Hierarchien geprägt sind. So ist die Weitermeldung über das andauernde (angebliche?) Fehlverhalten von MitarbeiterInnen für eine Abteilungsleitung einfacher zu bewerkstelligen als für MitarbeiterInnen, die von ihren Vorgesetzten schikaniert werden. Auch wird es einem Vorgesetzten meist leichter gelingen, unter der Belegschaft aussagewillige ZeugInnen zu gewinnen, als dies umgekehrt für einen von Ungerechtigkeit betroffenen Mitarbeiter möglich ist. In diesem Falle zeigt sich oft allzu deutlich, wie selten Zivilcourage gelebt wird!
Man hüte sich auch vor der Fehleinschätzung, dass sich ein Mensch, der selbst bereits von Mobbern gequält wurde, aus seiner Erfahrung heraus unbedingt in einen anderen Menschen, der von Mobbing betroffen ist, einfühlen kann: Ich habe selbst erlebt, dass gerade die, die wissen, wie sich Mobbing anfühlen kann, durchaus auch bewusst in der Meute gegen jemanden vorgehen, weil sie fälschlicherweise annehmen, dass ihnen - auf diese Weise mit anderen TäterInnen vereint - nichts Schreckliches mehr widerfahren könne. Das kann sich jedoch als fataler Irrtum erweisen!
Definitiv habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es für einen von Mobbing betroffenen Menschen hilfreich ist, sich jenseits des Arbeitsumfeldes Unterstützung von Profis zu holen - einerseits, um die Situation durchzustehen und andererseits, um genau zu erwägen, was von einem selbst beigetragen werden kann, um sich künftig besser zu wappnen. Gerade diese beiden Anliegen können durchaus sehr individuelle Wege beinhalten!
Auch zu Team-Supervisionen habe ich eigene Erfahrungen gemacht, die sich mitunter mit Erfahrungen anderer decken: Man kann nicht automatisch davon ausgehen, dass sich nach einer Supervision, die im Team stattgefunden hat, eine nachhaltige Verbesserung des Betriebsklimas ergeben muss. Hier bedarf es der Fähigkeit zur Selbstreflexion und zur Ehrlichkeit, und zwar bei bei allen MitarbeiterInnen - allein an diesem Punkt scheitern viele interne Supervisionen; auch, wenn sie manchmal vom Supervisor als Erfolg gewertet werden: Was unter dem Teppich weiterschwelt oder aufgrund diverser Ängste oder Bedenken unausgesprochen bleibt, ist selbst für einen Profi nicht immer ersichtlich!
Die Formulierung, man könne sich einem bestimmten Vorgesetzten gegenüber nicht ehrlich zeigen, weil man in letzter Konsequenz den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten müsse, muss bei jedem Supervisor bereits ein dickes Alarmzeichen auslösen!
Klar ist: Mobbing zu akzeptieren, indem man beispielsweise Ahnungslosigkeit heuchelt, wenn es um das Schikanieren von KollegInnen geht, stärkt immer jene, die seelische Gewalt ausüben. Hier kann häufig beobachtet werden, dass sich die Gewaltausübenden durch das Schweigen jener, die (angeblich!) neutral bleiben wollen, gestärkt fühlen. Wer es unterlässt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, billigt Gewalt und Mobbing stillschweigend, denn wer schweigt, stimmt zu!
Als Gegenmaßnahme gilt, Intrigen keinesfalls zu unterstützen und verletzende Äußerungen gegenüber MitarbeiterInnen nicht als Spaß abzutun. MitläuferInnen ihre fragwürdige Position des stillschweigenden Akzeptierens aufzuzeigen, hat das eine oder andere Mal sicherlich schon ein Nach- oder Umdenken ausgelöst!
(Unter "Mobbing" finden sich weitere Artikel, in denen ich auch auf (fehlende) Strukturen und Gegebenheiten eines Umfelds, die Mobbing begünstigen, eingehe : "Teamwork", "Shitstorms", "Angst versus Zivilcourage", "Beziehungsweisen - Kommunikation", "Der Wert des Menschen"
Auch mangelnde Zivilcourage begünstigt dieses menschenverachtende System - dazu mein Artikel "Zivilcourage", Oktober 2017)
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