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Herzenswirren und verbotene Küsse



Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī oder - ganz schlicht - Rumi, Poet des Islam - vor Jahren habe ich diesen einzigartigen Dichter entdeckt, nahegebracht durch eine begeisternde Dokumentation des Regisseurs Houchang Allahyari.

Geboren 1941 im Iran, wanderte Allahyari bald nach Österreich aus, wo er Medizin studierte und im Anschluss als Psychiater tätig war. Sein Film sollte einer von mehreren Anreizen sein, mich mit der Welt des Islam näher zu beschäftigen. (Mit der islamischen Baukunst hatte ich mich schon länger auseinandergesetzt - noch heute finde ich viele Paläste und Moscheen sowie herrschaftliche Wohnhäuser atemberaubend schön: Satte Wandfarben, kalligrafische Inschriften, Kacheln, Kuppeln, Bögen und Gartenanlagen begeistern mich, nebst Teppichen, Teetischchen, Vasen, Kerzenleuchtern, usw.)

Es folgten viele Dokumentationen, weitere Filme, Bücher, Seminare sowie unzählige Gespräche mit Menschen aus dem islamischen Kulturkreis - letztere besonders begünstigt durch meinen langjährigen Beruf.

Mir war und ist es ein Anliegen, auf Menschen möglichst ohne Vorurteile zuzugehen. Ich muss allerdings zugeben, dass mir das in den letzten Jahren meines ehemaligen Berufes durch viele Begebenheiten, die nicht nur mich, sondern auch meine ehemaligen Kolleg*innen sehr gefordert haben, nicht mehr zu 100% gelungen ist. Ehrlich: Ich habe immer seltener Menschen getroffen, deren liberales Weltbild mit jenem des Regisseurs standgehalten hätte! Zunehmend hatte ich mit Männern, aber auch Frauen zu tun, deren reaktionäres Weltbild mich tief erschüttert(e): Frauen - Mütter und Töchter - werden wie Leibeigene gehalten, Frauen können kein Wort Deutsch - selbst ihre Söhne können ihnen menschliche Kontakte verwehren; in radikalisierenden Sportvereinen werden Kinder und Jugendliche gegen die westliche Gesellschaft aufgehetzt und fürs Kinderkriegen ist sowieso ausschließlich Allah zuständig: Sex? NIEMALS!!! Und überhaupt: Küssen verboten! Und wozu Biologieunterricht in den Schulen? HARAM!!!

Dazu meine klare Meinung und Haltung: Wer in Österreich leben möchte, muss unsere Regeln und Gesetze akzeptieren und leben - Parallelgesellschaften: Nein danke!

Viele, mich entmutigende Vorfälle mit religiös radikalisierten und radikalisierenden Eltern und ihren Kindern haben auch dazu beigetragen, mich aus diesem Beruf zurückzuziehen. Ebenso habe ich die Beobachtung gemacht, dass in Politik und Gesellschaft Wesentliches versäumt wurde bzw. wird, um solche Rahmenbedingungen zu schaffen, dass ich diese Arbeit weiterhin als sinnvoll erleben konnte.


Besonders ergriffen war ich stets in jenen Momenten, in denen unsere Schützlinge frank und frei offenbarten, wie sie bereits im Volksschulalter von ihren Eltern gelenkt und manipuliert werden: Für viele Mädchen gilt es demnach als selbstverständlich, dass sie eines Tages von ihren Eltern verheiratet werden, dass ihre Ehemänner innerhalb der Verwandtschaft auserkoren werden und dass sie nicht einmal volljährig sein müssen, um mit einem (oftmals auch älteren) Ehemann verheiratet zu werden. Teilweise geradezu empört wurden / werden aufklärende Aussagen von pädagogisch agierenden Polizist*innen zurückgewiesen, die in Bildungseinrichtungen waren / sind, um den Kindern auf kindgerechte Weise ihre Rechte nahezubringen.


Heute, vor genau einem Jahr, starb Jina (Mahsa) Amini, eine junge Kurdin, die von der iranischen Sittenpolizei festgenommen und tödlich verletzt wurde, der Vorwurf: Sie habe die herrschende Kleiderordnung nicht befolgt. Die Proteste, die auf Jina's Tod folgten, waren die größten seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979. Unschuldige Menschen wurden bei Demonstrationen verhaftet oder getötet oder im Zusammenhang mit den Demonstrationen hingerichtet.

Gerade lese ich einen Roman, der mich an all diese Themen stark erinnert. Die persische Autorin Fattaneh Haj Seyed Javadi widmet sich in ihrem Roman "Der Morgen der Trunkenheit" einer privilegierten Familie, deren fünfzehnjährige Tochter Mahbube sich leidenschaftlich in einen jungen Mann verliebt, den sie gegen jeden familiären Rat zu heiraten begehrt. Mahbubes Vater ist ein Mann, der durchaus als fortschrittlich beschrieben werden kann, dennoch kann er die Obsession seiner Tochter nicht nachvollziehen und fühlt sich durch den unpassenden Bewerber zutiefst in seiner Ehre gekränkt. Mahbube soll den Sohn seines Bruders heiraten, nachdem sie zuvor einen vielversprechenden Kandidaten aus adeligem Hause abgelehnt hatte. Es gilt in Persien Anfang der 1930er Jahre noch immer: "Ehen zwischen Cousins und Cousinen werden im Himmel geschlossen." (Ich habe es jahrelang erlebt, diese Verheiratungspraxis ist auch heute noch gängig.)

Dies ist die Geschichte einer jugendlichen Leidenschaft, in der vor allem die junge Frau erkennen muss, dass ihre blinde Leidenschaft nicht viel mit Liebe gemein hat. Die Ehe, für die Mahbube ihre geliebte Familie verlassen hat, scheitert, denn der einfache Schreiner kann Mahbube nicht auf Augenhöhe begegnen, weder materiell noch intellektuell. Nach einigen schwierigen Jahren kehrt Mahbube zu ihrer Familie zurück und nur gemeinsam mit ihrem Vater kann sie eine Scheidung von ihrem Ehemann, der sich zunehmend als grausam entpuppt, erwirken. Sie heiratet ihren Cousin und erkennt spät, dass sie aufrichtig geliebt wird - der Panzer um Mahbubes Seele und Herz bekommt Risse und sie beginnt zu begreifen ...

Die Stärke des Romans sehe ich zum einen in der guten Übersetzung, wie ich diesen Hinweis dazu auch bei Katajung Amirpur nachlesen kann, zum anderen auch darin, dass man einen guten Einblick in die gesellschaftlichen Strukturen der damaligen Zeit erhält, woran sich jedoch bedauerlicherweise bis heute nichts geändert hat.


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