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Kinder an die Macht?



(Foto: Alexas_Fotos, Pixabay.com)



Ein lautes "Stopp!" gellt durch den Garten und es fühlen sich gleich mehrere Erwachsene alarmiert - sie eilen so schnell sie können auf einen Haufen Schuhe, Hosen, Pullover und Jacken zu, die sich in einem unüberblickbaren, wilden und lauten Durcheinander bewegen. Rundherum mehrere Kinder, Buben wie Mädchen, welche das noch nicht genau identifizierte, sich in brutalen Bewegungen herumkugelnde Knäuel, das nicht voneinander ablässt, in unterschiedlichen Sprachen anfeuern. Die herbeigeeilten Erwachsenen versuchen mit aller Kraftanstrengung, die Einzelteile dieses Knäuels zuzuordnen und die Kinder, die sich gegenseitig an den Haaren reißen oder sich an der Kleidung des anderen festkrallen und wie durch Superkleber aneinander zu kleben scheinen, voneinander zu trennen. Eine mühsame Arbeit, mein Atem geht schwer, Schweiß läuft über mein Gesicht - dabei ist es nicht mehr möglich, auf die eigene Sicherheit zu achten: Füße treffen, Hände schlagen - ein fester Tritt gegen meine Brust, der mir fast den Atem nimmt!


Während wir noch dabei sind, die Kontrahenten voneinander zu trennen, die Verletzungen zu untersuchen, um festzustellen, ob wir die Rettung und möglicherweise auch die Polizei alarmieren müssen, kommt es schon zur nächsten Auseinandersetzung: Diesmal liefern sich zwei Buben einen Kampf - einer liegt am Boden, der andere versucht, den am Boden Liegenden mit seinen Füßen, an denen sich festes Schuhwerk befindet, am Kopf zu treffen. Die gefährliche Lage erfassend, sprintet bereits ein Kollege los, um einer Kollegin, die die beiden allein nicht trennen kann, zu Hilfe zu eilen. Auch diese Kinder müssen unter Einsatz jeglicher vorhandener Kraftreserven der Erwachsenen voneinander getrennt werden.


Beide Szenen finden genau so in der Realität statt. In Schulen wie in anderen pädagogischen Einrichtungen, zumeist in Einrichtungen an sozialen Brennpunkten, bevorzugt im städtischen Raum. Und leider - auch bereits aus Kindergärten erreichen uns solche und ähnliche Nachrichten.

Diese Vorfälle könnten in Wien stattgefunden haben, ebenso wie in anderen Städten Österreichs. Genauso wie in Deutschland.


Was ist vorgefallen? Wir müssen erst mühsam alle Kinder befragen, die angeblichen Täter wie die sogenannten Opfer, ebenso wie die Zeugen. Dabei stellt sich am Ende wie meistens heraus, dass man die Kinder nicht eindeutig in "Täter" und "Opfer" einteilen kann, denn die Konflikte, die wieder einmal eskaliert sind, haben viele Herde und hätten auch ganz anders gelöst werden können.

Wir bieten viele Konfliktlösungsmodelle an, versuchen, die Eltern bei Problemlösungen einzubinden, empfehlen Einrichtungen und Therapieangebote und arbeiten mit unzähligen Fachleuten zusammen.

Tägliche Gespräche, um präventiv zu arbeiten oder um Eskaliertes aufzuarbeiten, in denen Lösungen angeboten werden, wie Auseinandersetzungen vermieden werden könnten, fruchten kaum oder gar nicht. Was macht die pädagogische Arbeit so dermaßen herausfordernd? Warum ist es so schwierig, Kinder, die ihre Konflikte impulsiv und mit Gewalt lösen, zu erreichen? Warum ist es nicht immer möglich, die Eltern dieser Kinder als unsere Partner in unsere pädagogische Arbeit einzubinden?


Ganz klar ist, dass sich die Welt, in der Kinder heute aufwachsen, massiv verändert hat. Das digitale Zeitalter schafft soziale Probleme, die weltweit wahrgenommen werden können und die uns intensiv beschäftigen. Zeit ist heute Luxus und das bekommen gerade Kinder ganz besonders zu spüren: Ihre in der Arbeitswelt geforderten und oft mit eigenen Themen beschäftigten Eltern bringen vielfach nicht mehr genug Kraft, Interesse und Empathie für ihre heranwachsenden Kinder auf. Familiäre Systeme unterliegen gerade in den letzten Jahrzehnten einem großen Wandel, traditionelle Familienstrukturen sind aufgeweicht oder haben überhaupt ihre Bedeutung verloren. Das muss nicht immer ein Nachteil sein, aber wir Menschen brauchen Zeit, um in neue Dimensionen hineinwachsen zu können.


Aus den Massenfluchten aus diversen Ländern ergeben sich gerade in den letzten Jahren massive Probleme bei der Integration von Flüchtlingen. Das muss deutlich zum Thema gemacht werden dürfen, ohne dass man das Etikett "Rassist" verpasst bekommt. Wir haben in diesem Bereich mit mehreren Phänomenen zu tun - und ganz sicher hauptsächlich damit, dass völlig unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen. Was bei uns als völlige Unsitte gilt, wird in anderen Kulturen hochgehalten. Für einen Mitteleuropäer ist es beispielsweise völlig undenkbar, dass sich eine Mutter darüber freut, wenn ihr Sohn ihre Ehre mit Fausthieben verteidigt. In verschiedenen orientalischen Kulturen wird jedoch die "Familienehre" hochgehalten und auch mit Einsatz von Körperkraft verteidigt.


Grundsätzlich gilt, dass Kinder das Verhalten ihrer realen oder digitalen Umwelt nachahmen - egal wo, sie tun es überall: Sie nehmen wahr, wie Vater und Mutter gegeneinander Krieg führen, wie der Vater die Mutter unterdrückt, physisch und psychisch misshandelt und quält; sie spielen stundenlang Videospiele mit destruktiven, die kindliche Psyche belastenden Inhalten; sie sehen Videos, in denen Menschen einander auf grausamste Art und Weise das Leben nehmen.

Das, was in den Elternhäusern neben den Kindern emotional und abwertend diskutiert und disputiert wird, wird auch zu den Themen der Kinder: Religion, Nationalität, Rasse, Hautfarbe, Geschlecht und sexuelle Orientierung - viele Vorurteile werden bereits den Jüngsten anerzogen.

Aus der Praxis kann ich auch berichten, dass es unsagbar mühsam ist, dort zu agieren, wo Buben bereits von ihren radikalisierten muslimischen Vätern hören, dass sie Frauen nicht zu achten haben und erst recht nicht, wenn diese Christinnen sind.

Die tiefe Verachtung von Menschen, denen weder die Religion noch die Kultur verbieten, Schweinefleisch zu essen, wird von orthodoxen Muslimen häufig auch ihren Kindern, den Buben wie den Mädchen, vermittelt.


Schon seit längerem wandern immer wieder Herbert Grönemeyers Zeilen durch meine Gedanken, die er 1986 unter dem Titel "Kinder an die Macht" auf seinem Album "Sprünge" veröffentlicht hat.

Der Text, den ich vor so vielen Jahren noch als eine interessante Aufforderung empfand, scheint mir aus heutiger Betrachtung einfach nur noch naiv - würden diese Zeilen im Jahr 2020 veröffentlicht, müsste ich an der Geistesgegenwart des Autors zweifeln! Es wäre für mich sehr interessant, Grönemeyers Sicht auf die Gegenwart zu erfahren: Die Welt 2020, sie ist brutal wie eh und je - im Unterschied zu 1986 hat diese Brutalität allerdings inzwischen unter Kindern und Jugendlichen massiv zugenommen. Wer das nicht wahrnimmt, den muss ich als weltabgewandt einschätzen:

Die Armeen der Kinder sind nämlich heute nicht mehr aus Gummibärchen und die Panzer nicht aus Marzipan, die Kriege werden leider nicht aufgegessen! Kinder sind bereit, ihre Fäuste einzusetzen, genau so wie ihre Füße; sie sind bereit, mit Messern zu kämpfen, bewaffnen sich mit Elektroschockern und sogar mit Faustfeuerwaffen, die sie ihren Vätern entwenden.


In den Augen vieler Kinder lodern noch die Flammen der Gewalt, die sie in ihren Herkunftsländern erlebt haben. Viele sind traumatisiert, ihre Seelen sind verletzt, vielleicht sogar weitgehend zerstört. Es braucht die Erkenntnis der PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen, was so bitter notwendig ist: Wir brauchen wesentlich mehr SozialarbeiterInnen in Kindergärten, an Schulen, in allen weiteren pädagogischen Einrichtungen. Den Herausforderungen in unterschiedlichen Einrichtungen müssen diverse unserer Zeit angemessene, erweiterte Aus- und Weiterbildungen des pädagogischen Personals folgen; weitere spezielle Einrichtungen sind notwendig, in denen psychisch auffällige und erkrankte Kinder therapiert werden können. Es braucht die Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen - viel Geld! Und es braucht eine differenzierte Sicht auf die Bildungsarbeit, fern von parteiideologischen Dogmen. Wir dürfen keine Scheuklappen aufsetzen und es muss möglich sein, die auftretenden Probleme ehrlich zu diskutieren und effiziente Lösungen zu erarbeiten.

Es geht darum, dass Kinder, die mit ihren Familien nach Europa flüchten, unterstützt werden können, um sie von den Qualen ihrer Erinnerungen zu befreien.

Es geht darum, dass Kinder, die oft massiven inneren Spannungen ausgesetzt sind, sichere Therapieräume erleben können.

Dem Trübsinn auf dieser Welt können wir nämlich kein Ende bereiten, indem wir traumatisierten Menschen Positionen überlassen, die ein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine gefestigte Persönlichkeit voraussetzen! Denn wenn wir den Geist, die Seelen und die Herzen von vielfach verletzten Menschen nicht erreichen können, dann werden genau diese Kinder als Erwachsene das fortführen, was sie in ihren Herkunftsländern erlebt haben - und das werden sie in unserem Europa tun!


Eine Demokratie, in der jedes Menschenleben geachtet wird, wird gerade auch dadurch lebendig gehalten, als von jedem Menschen akzeptiert wird, dass es Pflichten und Rechte gibt. Die Welt gehört definitiv nicht in Kinderhände, denn das Leben ist kein Spiel - unsere Welt muss von besonnenen und weisen Menschen gelenkt werden, die die Menschenwürde hochhalten und unangetastet lassen!

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