"Behinderung ist kein Schicksal, kein medizinisches Problem. Behinderung ist eine Frage der persönlichen und politischen Macht und vor allem, Behinderung ist eine Frage des Bewusstseins." (Adolf Ratzka)
Der nachfolgende Beitrag ist mir ein großes Anliegen, weil mir Wege zur Selbstermächtigung von Menschen mit Behinderungen sehr am Herzen liegen.
Seit einigen Jahren bin ich als Persönliche Assistentin tätig - seit einiger Zeit auch hauptberuflich.
Dieser vielseitige Beruf hat mich definitiv gefunden, ein "Zufall" wollte es, dass ich mit meinem ersten Assistenznehmer in Kontakt kam. Ich kam mit ihm ins Gespräch, wie ich immer wieder mit Menschen während meiner Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln ins Gespräch komme. Nach einigen zufälligen Treffen fragte mich mein Bekannter, ob ich mir vorstellen könne, für ihn als Persönliche Assistentin zu arbeiten. Wir vereinbarten einen Termin, um Näheres zu besprechen und es war schnell klar, dass ich gerne als seine Persönliche Assistentin arbeiten würde. Als Voraussetzungen für diesen Beruf möchte ich Hausverstand, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Flexibilität und vor allem menschlichen Respekt anführen. Eine Grundausbildung ist nötig und sichert einen wichtige Punkte umfassenden Zugang zu diesem Aufgabenbereich - vor allem auch hinsichtlich rechtlicher Bestimmungen.
Persönliche Assistenz ist eine Möglichkeit für Menschen mit Behinderung, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen, sowohl im Privat- wie auch im Berufsleben.
Dr. Adolf Ratzka, 1943 geboren, Soziologe und Behindertenvertreter, ist für viele Initiativen für ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen verantwortlich. Er hat die Philosophie des Selbstbestimmten Lebens wesentlich geprägt.
Adolf Ratzka, der einen Elektrorollstuhl und ein Beatmungsgerät nutzt, wurde in Bayern geboren und erkrankte mit 17 Jahren an Polio. Da es damals keine rollstuhlgerechten Wohnungen sowie keine Hilfen im Alltag gab, musste er fünf Jahre in Krankenhäusern verbringen. Mit 22 Jahren schaffte er absolut Außergewöhnliches, nämlich allein in Los Angeles in ein Studentenheim zu ziehen. Dort gelang es ihm mittels einer finanziellen Sonderregelung mit dem bayrischen Staat, Mitstudenten zu finanzieren, die er als seine Assistenten gewinnen konnte. Klar ist, dass Adolf Ratzka ein mutiger und äußerst entschlossener Pionier war, in dessen Fokus stets seine Vision von einem selbstbestimmten Leben stand. Zu seinen weitreichendsten Anstrengungen zählt bis dato, Sozialpolitik in Richtung Selbstbestimmung zu beeinflussen, was ihn bereits 1973 nach Schweden führte, um dort für seine Doktorarbeit zu recherchieren. Bis heute lebt Adolf Ratzka in Schweden, weil ihm dort die besten Hilfen für ein selbstbestimmtes Leben zur Verfügung stehen.
Als Ausgangspunkt der internationalen Independent Living Bewegung gilt Berkeley.
In den USA gab es in den 1960er Jahren bereits Erfahrungen mit anderen sozialen Bewegungen, wie etwa der Frauen- und der Bürgerrechtsbewegung. Aus Kontakten mit diesen Bewegungen entstand bei Menschen mit Behinderungen die Entschlossenheit, für ihre Selbstbestimmung einzutreten. Auch waren diese Menschen nicht mehr bereit, sich etwa in Einrichtungen und Anstalten abschieben zu lassen, wo sie sich als bevormundet und im alltäglichen Leben diskriminiert fühlten.
Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben schließt weitreichende Überlegungen und Planungen sowie Umsetzungen ein, was sich jedenfalls und selbstverständlich bei Neuerrichtungen und Umbauten von Häusern und Wohnungen, von öffentlichen Gebäuden wie Bahnhöfen, Flughäfen, Museen, Kinos, Freizeiteinrichtungen, Schwimmbädern, Schulen, Universitäten, Arbeitsplätzen, etc. zeigen muss.
Wichtige Säulen für ein gemeinsames Leben von Menschen mit und ohne Behinderungen sind Empowerment, Peer-Beratungen, politische Arbeit und Persönliche Assistenz. Es braucht ein auf Chancengleichheit ausgerichtetes Denken und Handeln, um zu gewährleisten, dass Ermächtigung bereits im Kindesalter beginnen kann: Eltern müssen für ihre Kinder mit Behinderungen dieselben Förderungen und Möglichkeiten vorfinden wie Eltern mit nicht behinderten Kindern. Die Basis für Ermächtigung wird bereits in Kindergärten und Schulen geschaffen, so gesehen ist es von enormer Bedeutsamkeit, dass Kinder mit Behinderungen mit nicht behinderten Kindern Kindergärten und Schulen besuchen können.
In meiner Assistenztätigkeit sehe ich die ersehnte Fortsetzung meiner Arbeit im sozialen Kontext, allerdings an einem Platz, an dem ich mich in einem für mich nun passenden Umfeld bewege. Meine berufliche Vision hat Gestalt angenommen ...
Foto: Krzysztof Pałys, Pixabay.com
Ein sehr interessanter Beitrag und danke für deine empathischen Ausführungen, die einfach ein Beispiel geben, wie ein selbstbestimmtes Leben auch mit einem Handicap gelingen kann.
Viele deiner Einstellungen und Ansichten empfinde ich ebenfalls so und auch wenn ich nicht kommentiere wg. der "Hürde" liest man von einer großen Wertschätzung des Menschen dir gegenüber.
Lieben Gruß von Marita
Ein wirklich sehr interessanter Beitrag - und ein sehr interessanter Beruf, der sich dich offenbar ausgewählt hat! Ich verstehe, dass du diese berufliche Laufbahn eingeschlagen hast, ich denke, ich hätte es genau so gemacht.
Vor ein paar Jahren hatte ich in meinem Blog eine kleine Serie mit dem Titel "Unique - nicht perfekt, aber einzigartig", da stellte ich in diesem Beitrag - https://rostrose.blogspot.com/2019/02/unique-nicht-perfekt-aber-einzigartig_27.html - unter anderem zwei Männer vor, die offiziell als "behindert" gelten, aber so wie der von dir portraitierte Dr. Adolf Ratzka ihren eigenen, sehr beachtlichen und selbstbestimmten Weg eingeschlagen haben. Vielleicht interessiert dich der Artikel ja? In meinem aktuellen Blogbeitrag hingegen geht es um wunderschöne Glaskunst :-)
Alles Liebe
und hab eine gute Zeit!
Traude
https://rostrose.blogspot.com/2022/11/internationale-glastage-in-der.html
Das sind sehr spannende Ausführungen. Ich weiss sehr wohl, wovon du sprichst, denn ich war in meiner Jugend die "Persönliche Assistentin" meiner zwei Jahre älteren Schwester, die mit fünf Jahren (1954) an Polio erkrankte. Auch sie hat ihren Lebensweg mit Bravour und grösstenteils autonom gemeistert, ist aber jetzt schon etliche Jahre tot.
Dein Arikel erinnert mich an sie. Das ist schön und berührend.
Herzlichen Gruss,
Brigitte