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Advent - Zeit für die Seele


Ein weißer Afrikaforscher konnte es nicht erwarten, endlich ins Landesinnere vorzustoßen.

Um früher an sein Ziel zu gelangen, zahlte er seinen Trägern ein zusätzliches Gehalt, damit sie schneller gingen, und über mehrere Tage lang legten die Träger ein schnelleres Tempo vor.

Eines Abends jedoch setzten sich alle auf den Boden, legten ihre Bündel ab und weigerten sich, weiterzugehen. Soviel Geld er ihnen auch anbot, die Träger rührten sich nicht von der Stelle.

Als der Forscher sie schließlich nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, erhielt er folgende Antwort:

„Wir sind so schnell gegangen, dass wir nicht mehr recht wissen, was wir tun. Darum warten wir, bis unsere Seele uns eingeholt hat.“

(Paulo Coelho, „Unterwegs – Der Wanderer“, Diogenes Verlag)


Diese Geschichte heißt "Von der Hektik und der langsamen Seele". Ich hole sie mir ganz bewusst zu Beginn des Advents in meine Aufmerksamkeit.

Die Kernaussage dieser Geschichte hat zweifelsohne 365 Tage im Jahr ihre Berechtigung, denn sie vermag den Blick des geneigten Lesers auf seine Seele zu lenken.

Doch wie oft begegnen wir während des Drehens unserer Hamsterräder der Verpflichtungen, der Erledigungen, oftmals auch der Banalitäten, tatsächlich unseren Seelen?

Viele Menschen agieren auf der Überholspur, den Fuß ständig am Gaspedal, dies aus unterschiedlichen Motiven: Bei manchen RaserInnen beschleicht mich der Verdacht, dass der Geschwindigkeitsrausch mit zunehmender innerer und äußerer Vereinsamung wächst. Ich spüre eine Leere und eine Entfremdung vom eigenen Sein, letztendlich ein Negieren der ureigensten Bedürfnisse. Gesellschaftliche und berufliche Verpflichtungen nehmen einen großen Raum ein, vielleicht unbewusst auch, um sich praktischerweise gar nicht mehr mit dem wahren Selbst auseinandersetzen zu müssen: Könnte sich andererseits etwa eine tief vergrabene Unzufriedenheit an die Oberfläche bohren?

Das lateinische "Adventus" bedeutet Ankunft - wieder bei mir selbst ankommen?

Ich fühle immer wieder, wie wesentlich es ist, ganz ich selbst zu sein, möglichst frei von manipulierenden Zwängen und das zu leben, was meinem Wesen entspricht. Um zu spüren, welche Wege für mich die richtigen sind, möchte ich ganz klar sein. Dies ist nur möglich, wenn ich entschleunige.

Ich erfreue mich - so oft, wie es mir möglich ist - an der großzügigen und unerschöpflichen Vielfalt der Natur, die mich umgibt. Sie inspiriert mich mit ihrer unergründlichen Weisheit, dem Kreislauf der vier Jahreszeiten. Jede Jahreszeit begeistert mich mit der ihr ganz eigenen Kraft und Bestimmung, mit ihrer einzigartigen Schönheit. Je öfter sich dieser Kreislauf der Jahreszeiten für mich wiederholt, desto klarer werden mir meine Prioritäten, die ich in meinem Leben setzen möchte.

Einige Ideen brauchen mehrere Anläufe, um letztendlich stimmig gelebt zu werden; andere wiederum lassen sich leichter in mein Leben integrieren - vielleicht, weil sie rascher klar sind.

Gerade Herbst und Winter, jene Jahreszeiten, in denen die Sonne früh am Horizont erlischt und der Abend bald anbricht, bringen eine für mich einzigartige Lebensqualität mit sich: Denn ich spüre, dass ich auch gelassen genug bin, mich in meinen mir so kostbaren Refugien mit den Wesentlichkeiten des Lebens zu beschäftigen.

Mein Sehnen nach menschlicher Wärme vernehme ich noch intensiver - ich schätze tiefgehende und vertraute Gespräche ganz besonders, am liebsten in meiner so geliebten Welt des Tees. Hier fühle ich mich geborgen in köstlichen Düften von Tee und Gebäck, getragen auf einer Wolke von höchst entspannender sanfter Musik, vereint mit Menschen, die mir nahe sind. Vieles scheint dann leicht, was zuvor noch undenkbar war.

Geschenke der miteinander verbrachten Zeit nehmen in meinem Leben inzwischen den größten Stellenwert ein - nichts ist mir kostbarer, als einander tiefe Aufmerksamkeit zu schenken und einander in großem Verständnis anzunehmen ...

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden. Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren.

Wenn dies geschieht, entsteht Beziehung.“

(Virginia Satir)

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