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Fesseln der Gewohnheit


„Wer sich nicht bewegt,

spürt auch seine Fesseln nicht.“

(Rosa Luxemburg)

Der Elefant oder die dünnen Fesseln der Gewohnheit

Einem Dompteur gelingt es, einen Elefanten mit einem ganz einfachen Trick zu beherrschen:

Er bindet das Elefantenkind mit einem Fuß an einen großen Baumstamm.

Sosehr es sich auch wehrt, es kann sich nicht befreien. Ganz allmählich gewöhnt es sich

daran, dass der Baumstamm stärker ist als es selbst.

Wenn der Elefant erwachsen ist und ungeheure Kräfte besitzt, braucht man nur eine Schnur

an seinem Bein zu befestigen und ihn an einen Zweig anzubinden, und er wird nicht

versuchen, sich zu befreien. Denn er erinnert sich daran, dass er diesen Versuch unzählige

Male vergebens unternommen hat.

Wie bei dem Elefanten stecken auch unsere Füße nur in einer dünnen Schlinge. Doch da wir

von Kindesbeinen an die Macht jenes Baumstammes gewohnt sind, wagen wir nicht, uns zu

wehren.

Und vergessen darüber, dass es nur einer einfachen mutigen Tat bedarf, um unsere Freiheit

zu erlangen.

(Paulo Coelho, „Unterwegs – Der Wanderer“, Diogenes Verlag)

Es ist immer wieder erschreckend, zu beobachten, wie sehr wir durch Konditionierungen, die uns schon aus frühester Kindheit anhaften, gelähmt sind, wie sehr wir uns mit unseren eigenen Glaubenssätzen klein halten und unser Niederhalten auch anderen "zugestehen". Dabei werden wir gerade in unserem mitteleuropäischen Kulturkreis als freie Menschen in diese Welt geboren.

Unsere Erziehung, die uns oft noch im Erwachsenenalter beeinflusst, basierte jedoch vielfach noch auf Machtausübung und Kontrolle; Ängste der Eltern wurden ebenso übertragen wie deren oft verschrobene Moralvorstellungen.

Im Film „Das finstere Tal“ wird ganz besonders deutlich, dass Menschen nach langer Unterdrückung gar nicht mehr mit Freiheit umzugehen wissen.

Dieser Film zeigt eine dörfliche Schicksalsgemeinschaft in den Alpen, in der Ende des 19. Jahrhunderts noch immer das „Ius primae noctis“ herrscht. Niemand wagt es, sich gegen die Unterdrücker aufzulehnen, die diese Tradition brutal ausführen. Erst als mysteriöse Morde an den Frauenschändern passieren, wird nach und nach klar, warum der Mörder derart handelt.

Fast alle Frauen, die er auf diese Art und Weise von ihren Peinigern befreit, stehen dem Befreier allerdings feindselig gegenüber, denn sie werden so aus einer beengten und herzlosen gewohnten Welt geschleudert, die sie jedoch - geschwächt und gebrochen - akzeptiert hatten.

In der gegenwärtigen Realität können diese Fesseln an menschlichen Füßen auf die von vielen gewollte Domestizierung des Geistes zurückgeführt werden, die das gedankenlose Herdenwesen fördert; viel zu selten wird eine ganzheitliche Sicht auf das Leben hochgehalten und auch mit Hilfe der Macht von manipulierenden, rechthaberischen Medien gelingt es, einen ursprünglich offenen, wachen Geist niederzuringen.

Doch es besteht Hoffnung auf Revolution! Eine völlig neue Generation von Kindern wächst heran. Ich kann bereits an Zwei- und Dreijährigen ein Selbstbewusstsein und ein sprachliches Ausdrucksvermögen beobachten, das uns vor 30, 40 Jahren noch nicht in dieser Art gegeben war. Hier geschehen beachtliche Entwicklungen. Dadurch sind natürlich Eltern und Großeltern wie auch PädagogInnen enorm gefordert.

Auch körperlich entwickeln sich Kinder heute schneller, das bestätigen vor allem beobachtende Großeltern und allen voran natürlich ÄrztInnen.

Es ist wichtiger denn je, individuell auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einzugehen und vor allem, mit ihnen und durch sie zu lernen. Unser bestehendes Schulsystem, mitsamt den LehrerInnen von vorgestern, verwässert und verfälscht bedauerlicherweise diese Vielfalt, wie sie in Kindern vorhanden ist.

Dieses Schulsystem ist völlig veraltet und lässt Kindern weitgehend keine Freiräume, ihre eigenen Ressourcen zu entdecken.

Wer glaubt, Kinder könnten heute mit Methoden von gestern, die von LehrerInnen von vorgestern angewendet werden, auf die Herausforderungen von morgen vorbereitet werden, der irrt ganz sicher!

Besonders zu Schulbeginn zeigt sich jedes Jahr, welche Einstellungen in diesen Einrichtungen aufeinanderprallen: Ich erlebe LehrerInnen, die die Individualität und Wissbegierde ihrer SchülerInnen sehr schätzen und mit großem Idealismus und großer Begeisterung mit den Kindern arbeiten. Diese LehrerInnen werden allerdings nicht immer von den jeweiligen DirektorInnen unterstützt. Daher ist es aufgrund solcher Gegebenheiten überhaupt keine Überraschung, dass bei derart engagierten PädagogInnen Krankenstände zunehmen.

Ich beobachte allerdings auch LehrerInnen, die bereits in jungen Jahren eine sehr überhebliche Haltung gegenüber Kindern zeigen und mit teilweise sehr harschen Methoden agieren.

Erfreulicherweise dürfen sich allerdings jene Kinder, die in reformpädagogischen Bildungseinrichtungen geachtet und gefördert werden, immer als Schöpfer erleben, was in meiner Schulzeit oft noch als komplett unüblich galt. Leider ist dieser Weg auch heute noch nicht allen Kindern möglich, da an diese Einrichtungen Schulgeld entrichtet werden muss, was natürlich nicht von allen Eltern finanziert werden kann.

Unsere Kinder von heute sind vielfach bereit und auch in der Lage, jene Fesseln, die uns noch angelegt werden konnten, von Anfang an abzuwehren. Diese Entwicklung beobachte ich mit Freuden, denn es besteht die berechtigte Hoffnung, dass diese so wache Generation ihr geistiges und kreatives Erbe früh zum Erblühen bringt!

Dazu braucht es Offenheit, Unerschrockenheit, Forscherdrang; diese Generation braucht unsere unvoreingenommene Unterstützung, unser Verständnis.

Wir können uns – auch im Sinne der neuen Generation – für die Liebe entscheiden und gegen die Angst, für ein Leben in Kooperation und eine Weiterentwicklung unserer geistigen Dimension, denn wir sind vollkommenes, ewiges Bewusstsein. Wenn wir diesen Gedanken in uns zulassen, können wir unsere Füße aus der dünnen Schlinge befreien!

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