Kinder erziehen oder ins Leben begleiten?
Schon das Wort "Erziehung" hat mir in meinem (beruflichen) Zusammensein mit Kindern des Öfteren ein unangenehmes Kratzen in meinen Gehirnwindungen verursacht: An Kindern zu ziehen, halte ich nicht für den richtigen Umgang mit jungen Menschen, die ins Leben wachsen und das Leben begreifen wollen. Dennoch ist es ein häufiges Ziehen und Zerren an Kindern, das in unserer Gesellschaft von vielen Seiten stattfindet.
Mir hat sich schon vor langer Zeit ein schrecklicher Verdacht aufgedrängt, nämlich, dass letzten Endes der Output all dieser erzieherischen Bemühungen ein "funktionierendes Wesen" sein soll. Meine entsetzte Frage schließt an diesen Verdacht an: Wollen wir tatsächlich "brave, leicht lenkbare Kinder", die sich später, als Erwachsene, als unkritische und eilfertige Soldat*innen übler Systeme erweisen??? Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen ...
Ja, es ist unendlich wichtig, Kindern zu zeigen, wie man allem Leben gegenüber respektvoll handelt. Ihnen diesen respektvollen Umgang zu zeigen, bedeutet, sich darüber auch vollumfänglich bewusst zu sein, dass wir Vorbilder sind. In allem, was wir tun, was wir sagen, sind wir alle stets im Blickfeld der Kinder, die gerne und mit Begeisterung nachahmen, was sie beobachten.
Vor genau einem Jahr habe ich beschlossen, nach sehr ereignisreichen und aufregenden Dienstjahren, die sich immer deutlicher auf negative Weise auf mein Wohlbefinden ausgewirkt haben, zu kündigen. Über mehrere Jahre war ich mit größter Begeisterung mit Kindern tätig und habe nach Kräften versucht, sie verständnis- und liebevoll in ihr(em) Leben zu begleiten. Diese Arbeit verlangt meiner Erfahrung nach auch einigen Idealismus - und diesen habe ich leidenschaftlich eingebracht. Mehr und mehr wurde mir allerdings in den letzten Jahren bewusst, dass ich unserem verheerenden Bildungssystem nicht mehr dienen wollte. Ein System, das nicht nur psychisch kranke Kinder produziert, sondern auch Lehrer*innen und Pädagog*innen in unterschiedlichen Institutionen verheizt und aushöhlt. Und das hat ganz sicher auch damit zu tun, dass es innerhalb dieses Systems sehr vieles gibt, das nichts, aber auch gar nichts mit einem respektvollen Miteinander zu tun hat. Es sind definitiv auch toxische Arbeitsumstände, die Menschen zu Kündigungen treiben.
Im Zuge meines beruflichen Neustarts habe ich beschlossen, mich auch hauptberuflich im Bereich der Persönlichen Assistenz zu engagieren.
Für den Bereich der Persönlichen Assistenz im privaten Umfeld bzw. in der Freizeit wurden vor einigen Monaten vom derzeit agierenden Gesundheitsminister viele Änderungen in Aussicht gestellt - und dies auf eine Art und Weise, die viele nicht als respektvoll einordnen können: weder den Assistenznehmer*innen noch ihren Assistent*innen gegenüber! Gespräche dazu wurden kategorisch abgelehnt, nicht einmal auf politischer Ebene konnten sie in ausreichendem Maße stattfinden. Einzelne Behindertenvertreter*innen ließen sich vom neuen Modell überzeugen, die kritischen Stimmen der Behindertenvertreter*innen aus drei Bundesländern mit guten Organisationsstrukturen wurden nicht gehört. Dass die zentralistischen Entscheidungen (unter einem grünen! Gesundheitsminister!) gravierende personelle Folgen haben würden, wurde in den letzten Monaten rasch mittels Umfragen ermittelt. Die sehr umstrittenen Änderungen sind wohl in greifbare zeitliche Nähe gerückt: Ich habe für mich bereits eine Entscheidung getroffen, da sich eine Fixanstellung bei meiner Auftragslage leider als finanzieller Nachteil erweisen würde. Derzeit wird von diversen Institutionen händeringend nach neuen Assistent*innen gesucht, die Aussichten auf Erfolg sind nicht besonders rosig.
Ich denke bereits seit einigen Monaten darüber nach, mich beruflich ohnehin für völlig neue Wege zu öffnen. Es zwickt und zwackt auch vereinzelt in Hinblick auf menschliche Wertschätzung: Ich mache die Erfahrung, dass nicht alle Assistenznehmer*innen wissen oder sich einsichtig zeigen, welche Verhaltensweisen eine gedeihliche Arbeitsbeziehung begünstigen. Vielleicht liegt es auch daran, dass erhaltene Einschulungen für Assistenznehmer*innen nicht mehr erinnert werden oder vereinzelt grundsätzliche Einstellungen herrschen, die eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe nicht möglich machen? Versuche meinerseits, Missliches anzusprechen, fruchten nicht. Und manchmal herrscht eben leider auch die Einstellung, für sich selbst andere Regeln aufzustellen, als sie für alle anderen gelten.
Ein respektvolles Miteinander setzt voraus, dass Menschen einander (ergebnis-)offen zuhören, auch andere Sichtweisen zulassen und Lösungsmöglichkeiten auch auf einer sachlichen Ebene erörtern können. Erzielte Kompromisse und Übereinkünfte gelten dann auch für alle Beteiligten.
Bild: Pixabay, "Prawny"
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