In einem langen oder längeren Leben gleichen Erinnerungen oftmals einer Zeitreise. Meine eigenen Zeitreisen finden auch immer wieder einmal mit Ausflügen an Orte statt, die ich vor Jahrzehnten als Kind mit meinen Eltern besucht habe.
Mein Vater war deutlich über 70 Jahre alt, als er Großvater wurde. Woran wird sich sein Enkelkind einmal erinnern können, wenn der Großvater für alle Zeiten schweigt?
Aus diesem Grund hat der Opa vor einigen Jahren ein Buch bekommen, damit er es mit seinen Erinnerungen befüllen kann. Zugegeben, ein einigermaßen umfangreiches Buch. Aber er hat doch jede Menge Zeit, der Opa - sollte man jedenfalls meinen: Er liest doch den ganzen Tag in der Zeitung!
Das Buch der Erinnerungen erinnert den Opa jeden Tag, dass er für sein Enkelkind Erinnerungen aufzeichnen könnte. Doch leider liegt es unbeachtet herum. Jedes Mal, wenn ich meinen Vater im Seniorenwohnhaus besuche, höre ich die gleichen Klagen, die seine Unzufriedenheit bezeugen. Das Jammern ist nichts Neues für mich - ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der sich lieber an Negativem festgeklammert hat, als auch einmal einen hoffnungsfrohen Blick in die Welt zu werfen. Dabei gab es auch Begegnungen mit ihm, die ich als erfreuliche Erinnerungen gespeichert habe. Aber mein Vater hat auch das Zeug dazu, sich immer in den Mittelpunkt stellen zu wollen. Das Alter verdichtet diese Veranlagung weiter. Das alles mag natürlich auch an seiner Kindheit liegen, die sicherlich wenig erfreulich war: Als mein Vater geboren wurde, steuerte die Welt auf einen Krieg zu. Der eigene Vater war wohl alles andere als ein liebevoll zugewandter Vater, die Mutter meines Vaters hatte ihrem Mann auf einem Bauernhof mit Ackerland und Viehwirtschaft gehorsam zu dienen. So hat es jedenfalls meine Mutter immer erzählt. Meine Großmutter väterlicherseits habe ich nie kennengelernt - sie starb einige Jahre vor meiner Geburt. Von ihr weiß ich nur wenig und dies aus Erzählungen meiner Mutter. Die Erinnerungen meines Vaters an die eigene Mutter sind äußert dürftig. Woran das liegt? Da kann ich nur spekulieren.
Meinen Großvater väterlicherseits habe ich als kranken alten Mann in Erinnerung, der oft im Krankenhaus war. Weitere Erinnerungen führen in ein tristes Altenheim, in dem mein Großvater in einem großen Zimmer mit anderen Menschen seinem Tod entgegensah. Für mich war dieser Ort ein Ort des Grauens! Wie bin ich froh, dass sich in dieser Hinsicht soviel zum Besseren verändert hat!
Als ich vor einigen Tagen meinen Vater besucht habe, habe ich spontan das Buch der Erinnerungen zur Hand genommen und meinem Vater die ersten Fragen vorgelesen. Und dann habe ich begonnen, seine ersten Antworten niederzuschreiben. Ich befürchte, wir werden dieses umfangreiche Buch wohl nicht zu Ende bringen, aber ein Anfang ist gemacht! Und siehe da, so gelingt es auch, meinen Vater aus seinem Jammertal zu entführen ...
Foto: C*
Dran bleiben? Hoffentlich verweigert Dein Vater die nächsten oder übernächsten Fragen nicht …
Liebe Grüße
Rosa
Das klingt doch nach einer kleinen Chance...
Schade, dass das schwere Leben solche Persönlichkeiten geformt hat. Da könnte mehr Wissen helfen zu verstehen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich in das Erinnerungsbuch, welches meine Mutter geschrieben hat, noch nicht hineingeschaut habe, habe ich doch Angst, in das Grauen der Zeit um 1945 zu schauen. Ich könnte es immer noch nicht aushalten, befürchte ich.
Mein eigenes Oma-Buch, vor vielen Jahren begonnen, ist bisher nicht über meine Junglehrerinnen-Zeit hinausgekommen.
Dir wünsche ich viel Erfolg, Geduld und hoffentlich eine versöhnliche Zeit mit deinem Vater.
Herzlich
astrid
Das wäre ja schön wenn er jetzt von sich aus Gefallen daran finden würde und es ergänzt. Eine schöne Idee aber auch von dir. Ich kann so gar nichts über meine Großeltern sagen. Väterlicherseits war mein Opa im Krieg gefallen, meine Oma war ein "Biest" und da war ich auch zu klein als sie verstorben ist. Die Eltern meiner Mutter kannte ich noch, allerdings ja aus Österreich war der jährliche Kontakt/Besuch vor meiner Schulzeit; danach seltener. Dafür habe ich von Beiden noch Erinnerungsstücke u.a. auch Einträge in mein Posiealbum. Zudem aber von beiden Seiten noch viele alte Fotos die mir zumindest immer ihr Gesicht zeigen.
Liebe Grüssle
Nova 🌴
Das tönt doch jetzt sehr hoffnungsvoll. Ein Anfang ist gemacht und vielleicht kommt ihr zusammen einen grossen Schritt weiter, und dies in mehreren Belangen...
Toi, toi, toi und liebe Grüsse,
Brigitte