Meine Eltern hatten wohl in den Herbsttagen des Jahres 1969 beschlossen, einem hungrigen Storch, meinem Lebensspender, ein Stückchen Zucker auf einer Fensterbank zu hinterlassen.
Dies ist nicht etwa meine Entstehungsgeschichte, an die ich als Kind besonders lange glauben wollte, sondern die Erklärung, die meine Oma für ein funktionierendes eheliches Sexualleben – mit fruchtbaren Folgen – hatte. Ich quälte Oma wohl häufig mit Fragen, die sie nicht so gerne beantwortete. Im aufgeklärteren Alter – meine Volksschullehrerin hatte ganze Arbeit geleistet – habe ich Oma wohl genervt, weil sie als strenggläubige Katholikin nicht verstehen wollte, dass Kinder – ihrer Meinung nach viel zu früh – mit Dingen belastet wurden, die sie noch nicht zu interessieren hatten.
Der Storch also hatte das Stückchen Zucker abgeholt und was er dann weiter damit gemacht haben soll, darüber schwieg sich meine Oma immer beharrlich aus – ich vermute, sie wusste selbst nicht so genau, wie sie das Märchen fortsetzen sollte.
Jedenfalls erblickte ich infolge eines erfolgreichen Aufeinandertreffens einer gesunden Eizelle mit einem wagemutigen Spermium als Tochter eines Büroangestellten und einer Krankenschwester das Licht der Welt.
Mein Vater hatte sich wohl insgeheim Hoffnungen gemacht, dass man ihm die Geburt eines Sohnes, für den der Name schon feststand, mitteilen würde. Dem weißen Federvieh war also vermutlich bei der Lieferung des Babys etwas durcheinandergeraten, denn meinem Vater war ob meines weiblichen Geschlechts laut den Erzählungen meiner Mutter etwas Ratlosigkeit - oder sogar Widerstand? - ins Gesicht geschrieben. Einer meiner Geburtshelfer nahm nämlich laut den Worten meiner Mutter meinen Vater bei seinem ersten Besuch beiseite und suchte vermutlich nach einigen Worten des Trostes für ihn, denn schließlich fand er sich doch damit ab, dass er nun Vater einer Tochter war. Es war Schicksal - mein Vater hätte ja auch im Nachhinein am Geschlecht seines erstgeborenen Kindes nichts mehr ändern können.
Übrigens kenne ich tatsächlich einzelne Erwachsene, die davon überzeugt sind, dass für die Entstehung menschlichen Lebens keine Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium vonnöten ist. Sie halten tatsächlich eine Jungfrauengeburt für möglich! Ich habe mir inzwischen angewöhnt, in solchen Fällen religiösen Wahns nicht mehr zu diskutieren. Es bringt nämlich nichts außer unnötige Aufregung - auf beiden Seiten. Ich sehe mich auch nur ungern in einer Situation, in der ein Dialog durch einen wilden Monolog ersetzt wird.
Auf jeden Fall hat der „Storch“ in Deinem Fall hervorragende Arbeit geleistet, auch wenn Dein Vater zunächst nicht ganz damit zufrieden war. 😉
Ich müsste mal meine gläubige Schwester fragen, was sie über die Jungfrauengeburt denkt. Aber wahrscheinlich würde sie mir antworten, dass Gott allmächtig sei. Insofern wäre so etwas für ihn eine Kleinigkeit. In diesem Sinne.
Guten Morgen,
meinem Vater war das gleich zumindest in meiner Wahrnehmung brauchte es keinen Stammhalter...er war mit seinen zwei Töchtern d'accord. Eine Aufklärung mittels Klapperstorch gab es bei uns nicht...lag vielleicht auch daran, dass ich die ersten 10 Lebensjahre in der Stadt aufgewachsen bin und beim Besuch von Oma und Opa auf dem Land war eher Garten und Ernte das Thema.
Lieben Gruß und danke für diese humorige Schreibweise deines Posts, Marita
die geschichte mit dem storch gab es auch bei uns. und ja, leider war ich "nur" ein mädchen, drei jahre musste vater auf seinen stammhalter warten. der wurde insgesamt bevorzugt, und vater war stolz, weil er der einzige sei, der "den namen weiterträgt." meine revanche war, bei der hochzeit einen doppelnamen anzunehmen, leider. heute sehe ich einfach in diesem denken das krampfhafte festhalten an fellen, die dem partriachat davonschwimmen. die generation meiner eltern hatte als katholiken auf dem land wenig möglichkeiten andere sichtweisen zu entwickeln. ihr leben war "durchkommen" und kampf, fassade und gelegentliches erschrecken über entdeckungen. als später geborene hatte ich glück. und die verquere "aufklärung" der kirche war so komisch, da wussten wir hinterher nur, was wir nicht…
Ich meine mit Zucker hätte ich nie gehört, und die erste Aufklärung gab es bei mir durchs Elternhaus schon ziemlich früh und danach auch gleich in der Grundschule in den ersten Klassen. Kann mich daran noch erinnern weil einige Schulkollegen ziemlich "baff" waren. Mit der Omi habe ich nie über sowas gesprochen, allerdings war ich dort ja auch wenn nur mit den Eltern auf Kurzurlaub (Köln-Graz). Erinnern kann ich mich allerdings auch noch an eine Situation als Omi bei uns war. Mein Zimmer gegenüber dem Bad gelegen sind meine Eltern und ich immer mit Nachtzeug oder Unterwäsche ins Bad. Das war für sie doch mehr als ungewöhnlich (so freizügig), aber sie wollte ja in nix "nachstehen" und hat es d…
Ja, zu meiner Zeit gab es auch noch den Wunsch nach einem "Stammhalter". Nur "dumm", dass der Stammhalter dann "nur" ein Mädchen bekommen hat, da war's dann aus mit dem Stamm. Wir Mädchen bekamen dann allesamt Jungen. Doch das galt dann nicht, trugen sie doch nicht den Stammesnamen. So etwas nenne ich "Ironie des Schicksals" ;) Schmunzelnde Morgengrüße