Mir ist bewusst, dass ich in den letzten Jahren Schwächen dabei gezeigt habe, anderen Menschen klare Grenzen zu setzen. Ich sehe ein (auch aufgrund von Hinweisen von mir sehr vertrauten Menschen), dass ich meine Grenzen mitunter nicht deutlich genug artikuliere. Das hat wohl auch damit zu tun, dass ich selbst sehr auf die Grenzen anderer Menschen achte und ganz genau fühle, wo diese jeweils verlaufen: Ich halte mein Verhalten für "normal" und kann daher kaum nachvollziehen, warum nicht alle Menschen erkennen können, wo Grenzen verlaufen.
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen, deren Grenzen wiederholt verletzt werden, zu tiefen Erschöpfungszuständen neigen, denen durchaus ernsthafte Krankheiten folgen können.
In meinen Reha-Wochen bin ich dem Thema Grenzen setzen intensiv begegnet. Und ich habe e-n-d-l-i-c-h verstanden, warum ich in den letzten Jahren häufig Wut empfunden habe. Dabei bin ich überhaupt kein Wut-Mensch - deshalb habe ich mich sooft schlecht gefühlt und auch tiefe Erschöpfung und Traurigkeit wahrgenommen. Und so bin ich anlässlich meiner Reha auch meiner Wut begegnet - und habe gelernt: Ich war deshalb wütend, weil meine Grenzen sooft überschritten wurden. Meine Wut war eine völlig normale und auch natürliche Reaktion meinerseits.
Sehr hilfreich war eine Übung, in der ich meinem Gegenüber klar meine Grenzen durch ein Wort oder eine Geste zeigen sollte. Dazu habe ich mich einer Person gegenübergestellt, die sich auf mich zubewegt hat. Ich habe mich in dieser Paararbeit zunehmend immer deutlicher agierend und artikulierend erlebt - und es hat sich gut und richtig angefühlt.
Es gibt einiges, was mir hilfreich erscheint, um mich / sich besser abgrenzen zu können. Es ist wichtig, herauszufinden, warum es so schwerfällt, "Nein" zu sagen.
Welche sind die jeweiligen inneren Antreiber, immer wieder "Ja" statt "Nein" zu sagen?
Ich gebe zu, in meinem Fall ist es auch eine Angst, nicht mehr gemocht zu werden. Diese Angst rührt ganz sicher aus der Kindheit. Wer "brav" war, der war beliebt - bei den Eltern, den Großeltern, den Lehrern. Nun war ich aber nicht immer angepasst und folgsam, ich war vor allem auch mutig und unangepasst, vor allem in meiner Jugend. Nicht folgsam zu sein, wurde in meinem Elternhaus mit Verboten bestraft, aber ich habe auch eine harte Hand meines Vaters auf meinem Körper zu spüren bekommen. Ich habe durchaus gelernt, dass es besser ist, zu tun, was andere von mir erwarten.
Mein Mut hat mich lange begleitet, bis er schließlich vor einigen Jahren Risse zeigte: Heftiges Mobbing auf meinem ehemaligen Arbeitsplatz hat dazu geführt, dass ich nach einigen Jahren des Dagegenhaltens leiser geworden bin. Inzwischen möchte ich allerdings wieder deutlich für mich eintreten und dies auch mit meinem Gewissen vereinbaren können.
Die Angst vor Konsequenzen, wenn ich ein "Nein" ausspreche, diese verspüre ich tatsächlich vor allem im Beruf. Hier ist in meinem Fall sehr viel Diplomatie gefragt, denn selbst ein mit Bedacht ausgesprochenes "Nein" kann tatsächlich einen Jobverlust bedeuten. Das ist mir vor einem Jahr mit deutlichen Konsequenzen, die auf meinem Lohnzettel ersichtlich sind, passiert.
Zu schnell habe ich in der Vergangenheit immer wieder spontan meine Zusage für unterschiedliche Erledigungen gegeben, ohne mich vorher zu orientieren, wieviel Zeit, Energie und auch Lust ich dafür habe. Wie oft habe ich etwas für bestimmte Personen erledigt und mich zeitgleich darüber geärgert, wie schnell und unbedacht ich diverse Erledigungen übernommen habe. Nun nehme ich mir Bedenkzeit, bevor ich eine Entscheidung treffe. In dieser Zeit kann ich abwägen und anschließend mit meiner Entscheidung klar auftreten.
Wichtig ist auch, zu erkennen, wie sich Manipulationen zeigen. Der Vorwurf, egoistisch oder herzlos zu sein, zählt ganz sicher dazu. Schmeicheleien und Lob können allerdings ebenfalls perfide Strategien sein, um jemanden dazu zu bringen, eine Erledigung zuzusagen. Es ist wichtig, sich klarzumachen, was ein ausgesprochenes "Ja", das eigentlich ein gefühltes "Nein" ist, nach sich zieht. Und wenn es nur der Ärger ist, sich wieder einmal überrumpelt zu fühlen.
Für manche Situationen kann man sich auch vorbereiten, es ist möglich, sich Sätze zurechtzulegen, diese sogar (mit einem Gegenüber) zu üben, um sich besser in einer unangenehmen Situation zu behaupten.
Wer sich schwertut mit einem strikten "Nein", der kann auch eine sprachliche Variante wählen, die weniger akkurat ausfällt, inhaltlich aber dennoch ein "Nein" bedeuet. Wichtig dabei ist, sich nicht zu rechtfertigen. Hilfreich kann hier auch ein inneres Bild sein, wie man körperlich auf Abstand geht.
Foto: C*
Sobald man sein Nein meint rechtfertigen zu müssen, ist man auch gefährdet, es zurückzunehmen bzw. sich von anderen umstimmen zu lassen. Mir hat mal jemand gesagt: Eine Dame trifft Entscheidungen und rechtfertigt sich nicht. Ob das nun Kennzeichen einer Dame sind ... Herzliche Morgengrüße