Text und Foto: C*
Hygge

Hygge ist ein derzeit vielgehörter und -gelesener dänischer Ausdruck für ein Lebensgefühl, das seinen Ursprung im Norden Europas hat. Die Dänen gelten als besonders glückliches Volk dieses Planeten.
Doch was steckt hinter diesem "Wohlfühl-Konzept", das die Dänen leben, obwohl sie von langen Wintern, kalten Temperaturen und Dunkelheit begleitet werden? Zeitgeist?
"Hygge" ist ursprünglich ein altes norwegisches Wort, die Dänen haben es von den Norwegern übernommen, mit denen sie für Hunderte von Jahren in einem Königreich geeint waren.
Hygge ist, was Behaglichkeit und Wohlgefühl verbreitet, und es ist das Streben nach täglichem Glück. Dabei scheint es den Menschen im Norden gegeben zu sein, Wohlstand und Wohlbefinden gut zu trennen. Hyggelig zu leben bedeutet, Heiterkeit und Zufriedenheit in einem bevorzugt intimen Rahmen zu genießen.
Interessant ist allemal, dass alle nordischen Länder in den Top Ten des World Happiness Reports vertreten sind. Für diesen Glücksbericht werden soziale und ökonomische Umfragedaten einzelner Länder analysiert, wie zum Beispiel Einkommen, Freiheit in den eigenen Entscheidungen, Arbeitsbedingungen und Gesundheit.
"Hygge" zeigt sich in der typisch dänischen Lebenswelt auch deutlich in der dänischen Kultur des Einrichtens; Dänen gelten als begeisterungsfähig für Innenarchtitektur, die Geborgenheit verbreitet. Dabei geht es nicht nur um gutes Aussehen einer Inneneinrichtung, sondern auch darum, dass sich Möbel gut anfühlen.
Wohnen wird also auch als ein Fest für die Sinne verstanden: Denn wenn unsere Hände Holz und Keramik berühren, fühlt sich das komplett anders an als der Kontakt unseres größten Sinnesorgans mit Stahl, Glas oder Kunststoff.
Zum "Hygge-Gefühl" können Düfte genauso beitragen wie ein Paar Wollsocken, ein kuscheliger Pullover, ein köstlicher Tee oder Schokolade. Süßes Soulfood ist eben auch Bestandteil von Hygge.
Das soziale Leben der Dänen spielt sich bevorzugt in ihrem Zuhause ab, was für einen Südländer, der gerne in Cafés auf Freunde trifft, möglicherweise nicht ganz nachvollziehbar ist.
Wer braucht also "Hygge", wenn er das "Dolce Vita" haben kann? Südländische Temperaturen, Sonne, Strand und Meer und ein Gläschen Wein sollen also auch Seelen wärmen; Wollsocken, Tee und Kuschelpullover exklusive. Glück kann sich also in durchaus unterschiedlichen Lebensarten finden, wahrscheinlich gibt es allerdings auch einige Berührungspunkte: Gaumenfreuden spielen offensichtlich hier wie dort eine nicht wegzudenkende Rolle, Freunde sind wichtig, Alltag und Sorgen sollen keinen Zugang zur heilen Welt haben.
Nachdenklich macht mich, dass die meisten Menschen unserer westlichen Lebenswelt mit Sicherheit zuviel Augenmerk darauf legen, scheinbaren gesellschaftlichen und beruflichen Erfolgen hinterher zu hasten. Als Ausgleich finden sie sich von Zeit zu Zeit in teuren Wellnessoasen, die versprechen, der ideale Ort dafür zu sein, einmal "die Seele baumeln zu lassen". Doch: Wollen wir das wirklich, der Seele beim unausgeglichenen Baumeln zusehen?
Es gibt wohl unzählige Wohlfühl-Konzepte, die Suchenden präsentiert werden, daher habe ich längst davon Abstand genommen, Geld für die sogenannte "Feelgood-Literatur" aus der esoterischen Ecke auszugeben. Vieles, was in diesen Büchern zu lesen ist, ist eigentlich nichts Neues, da genau genommen in den Büchern der schreibfreudigen AutorInnen unzählige Male das Gleiche steht, wenn man es schafft, mit einer durchaus gebotenen kritischen Haltung die Essenz dieser Werke zu filtern.
Was Wünsche und Visionen betrifft, finden sich in unzähligen Büchern grundsätzlich zwei gegenteilige Ansätze, diese zu realisieren, letztendlich bleibt es unserer eigenen Einsicht ins Leben überlassen, welche Art von Lebensbewältigung wir selbst wählen: unsere Wünsche und Visionen stets als innere, starke und bunte Bilder in uns zu tragen oder einmal deutlich zu wünschen und dann loszulassen ...
Einerlei, wofür wir uns entscheiden, letztendlich zählt wohl nur, in der Gegenwart zu leben und zu sein!
Wünsche und Visionen haben durchaus ihre Berechtigung; doch zeigen sie, sofern sie Materielles zum Ziel haben, genau genommen auch, dass wir uns in einem "Mangel-Denken" befinden. Ebenso zeigt sich, dass wir beim Wünschen und Visionieren immer zukünftig ausgerichtet sind. Und dieses Gefühl, vom Leben nicht ausreichend versorgt zu sein, führt schlussendlich auch immer wieder dazu, sehnsüchtig und neidvoll in Nachbar's Garten zu schielen.
„Keine Zukunft vermag gutzumachen, was du in der Gegenwart versäumst“, das meinte schon Albert Schweitzer.