"Wir bitten, bei Betreten des Gebäudes unbedingt Ihr Rückgrat am Empfang abzugeben!"
So hat eine wunderbare Freundin meine Situation auf den Punkt gebracht, als ich ihr vor einiger Zeit die neuesten Vorkommnisse an meinem Arbeitsplatz geschildert habe.
Mit meiner Haltung, mich von täglichen Angriffen auf die Würde von Menschen fernzuhalten und diese auch deutlich und unüberhörbar in Frage zu stellen, bin ich auf mich allein gestellt.
Ich erlebe an meinem Arbeitsplatz täglich Unsoziales, Gehässiges, Boshaftes, Intrigantes.
Spätestens, wenn ich diese Missstände bei der verantwortlichen Betriebsleitung anspreche, sind mir weitere Nachteile gewiss. Wer mit mir spricht, macht sich ebenfalls unbeliebt. Es wird beobachtet, wer es noch wagt, sich mit mir sehen zu lassen.
Auch die vermisste offizielle Haltung Einzelner, die dieses seltsame Gebaren innerlich, aber unausgesprochen ablehnen, lässt diesen Arbeitsalltag besonders mühevoll werden. Ihre Ausreden, dass man ohnehin nichts ändern könne, empfinde ich als bequem, schal und faul, rückgratlos - auf sich selbst bedacht. Die Tatsache, dass auch diese KollegInnen das mobbende Verhalten sprachlos zur Kenntnis nehmen und somit indirekt unterstützen, macht die mobbende Meute ebenfalls stärker.
Das Thema "Angst", ebenfalls gemobbt zu werden, wird mir gegenüber immer wieder angesprochen - Angst, die ich sogar riechen kann. Man hält den Mund, weil man irrtümlicherweise glaubt, verhindern zu können, dass man der nächste Außenseiter wird. Dabei kann man mit diesem Schweigen das, was befürchtet wird, überhaupt nicht verhindern!
Mir ist in diesem Zusammenhang völlig klar, dass ich selbst nicht frei von Ängsten bin, sonst hätte ich diesem Arbeitsplatz schon längst den Rücken gekehrt - auch ohne unmittelbare Aussicht auf eine neue berufliche Aufgabe.
So steht es um unsere Gesellschaft: Wo auch immer - eine relativ geringe Zahl an Leuten, die andere unterdrücken, demütigen, misshandeln, quälen, kann sich ungehindert zum Ausdruck bringen, weil die überwiegende Mehrheit aus unterschiedlichen Gründen dazu schweigt. Die Abwesenheit von Zivilcourage fördert das Böse!
Sinistre Machenschaften keimen und existieren in einem Biotop der Feigheit und Haltungslosigkeit und begegnen uns in vielen Lebenswelten.
Angst ist nicht selten der Sand in der Maschinerie des Lebens. Manchmal kann sie uns allerdings auch lösungskreativ machen.
Angst kann einerseits etwas Irrationales sein - hier lähmt sie uns, wenn wir uns die unmöglichsten Folgen eines Handelns ausmalen;
andererseits sichert sie Säugetieren - und somit auch dem Menschen - das Überleben, nämlich dadurch, dass wir uns nicht ständig in unübersehbare Abenteuer stürzen, deren Ausgang nicht gewiss ist.
Angst war gerade früher für Menschen auch nützlich, weil sie sonst nicht überleben hätten können.
Angst kann auch dazu führen, dass Menschen in gefahrenvollen Situationen zu Leistungen fähig sind, die ihnen normalerweise nicht möglich sind.
Angst im Beziehungsleben ist weitest verbreitet und eben auch der Zweifel - am Gegenüber wie an sich selbst. Soziale Ängste können dazu führen, dass sich Menschen völlig aus ihrem Beziehungsleben zurückziehen und auf diese Weise auch vereinsamen. Die Basis für diese Ängste wird immer wieder bereits in der Kindheit geschaffen: Nicht wenige Kinder entwickeln durch das Verhalten von Erwachsenen Ängste, nicht zu genügen, nicht zu gefallen, nicht dem Bild zu entsprechen, das ihre Eltern erschaffen haben - spätestens als Erwachsene haben sie dadurch häufig Hemmungen und vegetieren fremdbestimmt.
Angst löst im Übrigen auch alle Kriege dieser Welt aus, Angst kann hinter Arroganz stecken genauso wie hinter Konkurrenz. Angst ist die Abwesenheit von Vertrauen und Liebe. Sie hat viele Ursachen und Gesichter!
In der Psychologie wird Angst als Zustand oder als Eigenschaft unterschieden.
Die Zustandsangst ist eine Emotion infolge einer realen Gefahr, die vorübergeht.
Wer die Angst als Eigenschaft erlebt, schätzt Situationen auch ohne aktuelle Bedrohung als gefährlich ein.
Mitunter kommt es hier auch zu Einschätzungen der Ausweglosigkeit. Wenn Angst mit psychischen Auffälligkeiten einhergeht, ist die Auflösung der Angst unerlässlich, da ansonst die Lebensqualität dramatisch eingeschränkt ist.
Ein chinesisches Sprichwort lautet: "Wenn die Wurzeln tief sind, braucht man den Wind nicht zu fürchten."
So ist es stets die Aufgabe von Eltern, Großeltern und PädagogInnen, Kinder und Jugendliche in ihrer Resilienz zu stärken. Diese ist die Basis für ein möglichst angstfreies Leben, in dem ein Kind als Entdecker und Erforscher einen natürlichen Zugang zur eigenen Stärke und zum Abenteuer Leben erfahren kann.
Buchtipp: "Der ewige Gärtner", John le Carré
"In Erinnerung an Yvette Pierpaoli, die sich weigerte, wegzusehen." John le Carré widmete seinen Roman "Der ewige Gärtner" der italienisch-französischen Flüchtlingshelferin Pierpaoli, die bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Lebensbejahend und engagiert hat Pierpaoli bewiesen, was einzelne Menschen bewegen und erreichen können, wenn sie von einer unerschütterlichen Zivilcourage geprägt sind. Auch John le Carrés Romanfigur Tessa Quayle lässt sich von keinen Widrigkeiten und Steinen, die ihr in den Weg gelegt werden, beirren, um zusammen mit ihrem Verbündeten, Dr. Arnold Bluhm, einen ungeheuerlichen Pharmaskandal in Afrika aufzudecken. Die beiden recherchieren in einer höchst brisanten Angelegenheit, in die korrupte Manager, Ärzte und Politiker weltweit involviert sind. Nicht einmal Tessas Mann, der Diplomat und Gärtner, Justin Quayle, ahnt von den Verbrechen, denen seine junge Frau und Bluhm auf der Spur sind. Als Tessa ermordet wird und Bluhm verschwindet, begibt sich der ewige Gärtner auf eine Reise, die auch für ihn zur tödlichen Falle wird. John le Carré verweist in seiner Nachbemerkung darauf, dass er viel Unterstützung aus Fachkreisen bei seinen Recherchen für seinen Roman hatte. Der Inhalt dieses Romans ist dermaßen realistisch und packend inszeniert, dass man das Buch einfach nicht zur Seite legen kann.