Das Jerusalem der vierziger Jahre wird jenen ein Fluchtpunkt, die den Nazis rechtzeitig entkommen sind.
Zu ihnen gehören auch Arie und Fania, deren Sohn Amos, 1939 in Jerusalem geboren, einige Jahrzehnte später zu einem der international bekanntesten israelischen Schriftsteller wird.
In seinem autobiografischen Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" schildert Amos Oz nicht nur Politisches und Philosophisches, sondern auch seine Verwandtschaft, die seine Kindheit und Jugend begleitet hat: seine Großmutter, besessen von der Furcht vor Schädlingen; seinen Großvater, ebenso elegant wie lebenslustig; einen Onkel, berühmt und gelehrt.
Oz geht in seinem Buch sehr auf seinen Großvater ein, der erkannt haben will, wie eine Welt mit gerechter Verteilung von Gütern erschaffen werden könnte. Diese Sicht des Großvaters mag auf den ersten Blick möglicherweise etwas naiv und träumerisch anmuten, doch ich finde den Zustand der geistigen Trägheit wesentlich unzumutbarer, denn diese Gleichgültigkeit kommt einer Lähmung der Seele gleich.
Sein russischer Großvater war also „ein Kommunist und Pazifist, …, ein Kommunist …, der gegen Blutvergießen ist. Er fürchtete sehr das Böse, das sich in der Seele verbirgt, bei Menschen aller Stände: Er hat uns immer gesagt, eines Tages müsste eine gemeinsame Volksregierung aller anständigen Menschen in der Welt an die Macht kommen. Aber erst müsste man einmal anfangen, nach und nach die Staaten und die Armeen und die Geheimpolizeien abzuschaffen, und erst danach könnte man nach und nach anfangen, den Unterschied zwischen Reichen und Armen zu beseitigen – den einen Steuern abnehmen und den anderen geben, aber nicht auf einen Schlag, damit kein Blut deswegen fließt, sondern alles nach und nach, Schritt für Schritt. Er hat gesagt: …, mit Gefälle. Und wenn es sieben, acht Generationen dauert, so dass die Reichen fast nicht merken, wie sie ganz langsam nicht mehr ganz so reich sind. Hauptsache, meinte er, man fängt endlich an, die Welt zu überzeugen, dass Unrecht und Ausbeutung Krankheiten sind und Gerechtigkeit das einzige Mittel dagegen ist: Sicherlich, es ist eine bittere Arznei, so hat er uns immer gesagt, eine riskante Arznei, die man tropfenweise einnehmen muss, bis der Körper sich daran gewöhnt. Wer sie auf einen Zug schlucken will, ruft nur Unglück hervor, ein großes Blutvergießen. Seht nur, was Lenin und Stalin Russland und der ganzen Welt angetan haben! Sehr richtig, die Wall Street ist wirklich ein Vampir, der der Welt das Blut aussaugt, aber was? Durch Blutvergießen kriegst du den Vampir ja niemals weg, sondern im Gegenteil, machst ihn nur groß und stark, päppelst ihn mit noch und noch mehr frischem Blut!
Das Problem mit Trotzki und Lenin und Stalin und Genossen ist, so dachte dein Großvater, dass sie auf der Stelle das ganze Leben nach Büchern neu ordnen wollten, nach Büchern von Marx und Engels und solchen großen Weisen, die vielleicht alle Bibliotheken kannten, aber keine Ahnung vom Leben hatten, keinen Schimmer von Hartherzigkeit, Neid, Missgunst, Bosheit und Schadenfreude. Niemals, niemals kann man das Leben nach Büchern ordnen! Nach keinem Buch! Nicht nach unserem Schulchan Aruch und nicht nach Jesus von Nazareth und nach dem Manifest von Marx! Niemals! Und überhaupt, hat Papa uns immer gesagt, es ist besser, etwas weniger zu ordnen oder neu zu ordnen und stattdessen etwas mehr einander zu helfen und sogar auch einmal zu vergeben. Er glaubte an zwei Dinge, dein Großvater: Erbarmen und Gerechtigkeit, derbarmen un gerechtikeit. Aber er war der Ansicht, dass man die beiden immer verbinden muss: Gerechtigkeit ohne Erbarmen, das ist ein Schlachthof und keine Gerechtigkeit. Andererseits, Erbarmen ohne Gerechtigkeit, das taugt vielleicht für Jesus, aber nicht für einfache Sterbliche, die vom Apfel des Bösen gegessen haben. Das war seine Ansicht: ein bisschen weniger Ordnung und ein bisschen mehr Mitgefühl.“
Die Schauspielerin Natalie Portman hat sich in ihrem Regie-Erstling äußerst mutig an dieses literarische Werk herangewagt und in erster Linie Fanias und Amos‘ "Mutter-Sohn-Beziehung" zu filmischem Leben erweckt. In die Rolle der Fania ist sie dabei großartig hineingewachsen.
Dass sie sich in ihrem Film besonders Fanias Träumen und Sehnsüchten widmet, haben ihr bereits diverse KritikerInnen übel genommen. Diese Kritiken sind aus meiner Sicht sehr entbehrlich, denn wer das Buch kennt, der weiß, dass es in seiner aufwendigen Intellektualität eigentlich gar nicht verfilmbar ist.
Wer Lust auf mehr hat, dem empfehle ich, unbedingt das Buch zu lesen, denn es ist tatsächlich außergewöhnliche Literatur, die sich unseren Augen eröffnet.