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AutorenbildC*

Zimmer mit Aussicht




Das Zuhause meiner Mutter ist dort, wo auch ein zahmer Hase wohnt. Ein Hase, mit dem sie sich auch an manchen Tagen in Gesprächen austausche, dem sie bereits deutsche Worte beigebracht habe, da sie seine Sprache nicht verstehen könne.

Ganz faszinierend, wie flink Mama ihre Geschichten in Worte kleiden kann. Und wie wortgewandt sich meine Mutter in solchen Augenblicken auszudrücken weiß.

Der Hase ist nicht das einzige Tier, das hier seine Heimat gefunden hat, auch Herr Frosch, Herr Hahn und seine Hennen begrüßen uns immer zuverlässig an ihren ihnen zugedachten Plätzchen. Zuverlässig stolziert auch eine Katze an uns vorbei, Mama ist von Minki, wie sie die Katze nennt, ganz begeistert.


Ich kann mich sehr gut an den Tag erinnern, als meine Schwester und ich unsere Mama an ihren neuen Wohnort gebracht haben. Unsere Anreise war kurz und erfolgte auch zu Fuß. Meine Mutter war an diesem Tag sehr nervös, das Frühstück muss für sie eine Qual gewesen sein. Sie ahnte die Veränderung wohl mehr, als sie um diese Veränderung wusste, die wir allerdings zuvor auch mehrfach besprochen hatten. Ein*e Erwachsenenvertreter*in hat die Pflicht, Fragen soweit als möglich ehrlich zu beantworten. In diesem Falle trifft mich diese Aufgabe. Inzwischen bin ich geübt, Mamas Fragen so zu beantworten, dass sie möglichst ehrlich sind, aber nicht immer sehr detailliert. Fragt sie beispielsweise nach dem Befinden ihrer Mutter, antworte ich, dass es Oma sehr gut geht. Daran glaube ich schließlich.

Einige Zeit nach ihrem Einzug hat sich der zuständige Richter davon überzeugt, dass meine Mama gerne in ihrem neuen Umfeld lebt. Ich war sehr gespannt, wie sich diese Begegnung abspielen würde und war umso erleichterter, als ich das Protokoll des Richters las: Meine an Demenz erkrankte Mutter war bei seinem Besuch völlig klar und hat ihm stolz ihr schönes Zimmer präsentiert, ihr Zimmer mit einem herrlichen Ausblick in einen wunderschönen und gepflegten Garten. Sie wohne gerne hier, sie fühle sich wohl in ihrem neuen Zuhause. Ich war sehr erleichtert, dass sich meine Mutter so zufrieden äußerte. Besonders gelobt hat sie die Ruhe, die sie in ihrem Zuhause erlebt. Dennoch ist meine Mutter dreimal in den ersten beiden Jahren davongelaufen. Zweimal lief sie abends nachhause, wo sie einen völlig inkompetenten Ehemann antraf, der natürlich in Panik sofort mich verständigte. Die Aufregung war allseits sehr groß! Es war beide Male überhaupt nicht einfach, meine Mutter jeweils am nächsten Vormittag, nachdem sie in der alten Wohnung völlig ermattet die ganze Nacht schlief, wieder zurückzubringen. Ihr dritter Versuch, heimlich das Weite zu suchen, endete in der Nähe des Seniorenwohnhauses, als sie zufällig von einem Pfleger in seiner Pause beobachtet wurde. Da wollte sie mit dem Bus zu ihren Eltern fahren. Es gelang ihr also auch, ihren Bewegungsmelder, der vor ihrer Tür steht, zu überlisten. Inzwischen sind Fluchtversuche kein Thema mehr.

Seit genau drei Jahren lebt meine Mutter nun im Seniorenwohnhaus, das sie an manchen Tagen allerdings nicht als ihr Zuhause erkennen kann. Dann wundert sie sich über ihren Namen auf der Tür zu ihrem Zimmer: Wer hier wohnt, muss doch schließlich auch dafür bezahlen! Und Geld habe sie keines. Geld hat im Leben meiner Mutter immer eine große Rolle gespielt. Geld, das in der Familie durch den guten Job meines Vaters immer reichlich vorhanden war - wenn sich Mama allerdings seinen herrischen Wünschen nicht beugte, wurde der Geldhahn zugedreht ...

Manchmal fragt sie ängstlich nach, ob sie hier auch essen und trinken könne? Doch wenn eine Mahlzeit und ein Getränk vor meiner Mama stehen, kennt sie ohnehin keine Hemmungen mehr. Ihr Appetit ist ein guter, trotzdem hat sie in einem Jahr zu viele Kilos abgenommen. Das bereitet uns Kindern Sorge und so steht bald eine Untersuchung an. Erfreulicherweise eine, in der sie nicht in eine Röhre geschoben wird, so, wie das in den letzten Jahren leider mehrfach der Fall war, und wo sie dann ganz stillhalten musste. Für einen an Demenz erkrankten Menschen, der ohnehin sehr unruhig ist, eine sehr schwer zu bewältigende Aufgabe!

Ich hoffe es und wünsche meiner Mutter, dass sie noch viele unbeschwerte Augenblicke erleben kann, zusammen mit den Pfleger*innen und den Bewohner*innen des Hauses - und dass ihr Innerstes immer wieder fühlt: Hier ist mein Zuhause.


Fotos: C*

12 Kommentare

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12 Comments


Xx Xx
Xx Xx
Jun 12

das ist sehr traurig dass deine Mutter an Demenz leidet

aber sie hat sich ja wohl inzwischen eingelebt

und es ist für sie erträglich

und auch für dich

ich bin so dankbar dass meinen Eltern das erspart blieb

meine Mutter starb quasi aus dem vollen Leben heraus

denn sie war mit 86 noch fit und munter

(Herzinfarkt )

mein Vater musste zwar ins Heim aber nur weil er nicht mehr laufen konnte

geistig war er .. bis auch kleine Defizite die man über 100 haben darf .. auch noch "auf dem Dampfer" ;)

manchmal habe ich etwas Angst um mich

denn die Vergeßlichkeit nimmt zu :(

liebe Grüße

Rosi


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C*
C*
Jun 12
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Ein Segen für den, der fit und munter bleibt bis ins hohe Alter!

Ja, sie hat sich eingelebt, aber definitiv fragt meine Mama manchmal immer noch ungläubig: "Da steht ja mein Name auf der Tür?!"

Ich erinnere mich, Dein Vater ist hochbetagt verstorben. Deine Angst kann ich voll nachvollziehen, Vergesslichkeit kann allerdings viele Ursachen haben. Ich war jetzt auch länger davon betroffen, langsam wird es aber wieder besser.

Liebe Grüße zu Dir, C Stern

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Rosa Ananitschev
Rosa Ananitschev
Jun 09

Demenz - eine schlimme Erkrankung, vor allem, weil sie unheilbar ist und den Betroffenen so sehr verändert. Meine Schwester (81) lebt seit einem Jahr im Heim und ich fürchte, zu all ihrem Leid wird sie auch noch dement. Sie ist oft durcheinander, kann sich an jüngste Ereignisse nicht erinnern … es ist sehr traurig.

Deiner Mama, liebe C, wünsche ich noch so viele ruhige und erfüllte Jahre, wie nur möglich, und euch beiden eine gemeinsame Zeit mit guten, vertrauten Gesprächen.

Herzliche Grüße

Rosa

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C*
C*
Jun 10
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Liebe Rosa,

ich kann mir Deine Sorgen sehr gut vorstellen, denn ich weiß, wie ich mich gefühlt habe, als ich es bemerkt habe, dass mit meiner Mutter etwas Gravierendes nicht stimmt.

Mir tut die gesundheitliche Situation Deiner Schwester sehr leid, denn sie hat wahrhaftig auch schon genug durchgestanden.

Unsere Medizin ist teilweise sehr fortgeschritten, aber bei Demenz hat sie offenbar noch ihre Grenzen 😪

Danke für Deine lieben Wünsche - herzliche Grüße zu Dir & einen guten Wochenstart! C Stern

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Nicole Joost
Nicole Joost
Jun 07

Ich wünsche Euch ganz viele helle & fröhliche Tage, liebes C. Auch wenn meine Mutter bei meinem Bruder gelebt hat, war sie immer unruhig und wollte nach Hause. So schwer zu tragen. Herzlichst, Nicole

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C*
C*
Jun 07
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Liebe Nicole, danke!

Diese Unruhe tritt meistens abends verstärkt auf, da bestand in den ersten beiden Jahren die Gefahr, dass meine Mutter allein das Haus verlassen würde. Im Haus selbst ist sie auch immer wieder herumgegeistert.

Ihr abendliches Ritual ist seit längerem das Fernsehen mit einer anderen Bewohnerin. Darüber bin ich recht froh, denn wenn sie zu bald ins Bett geht, ist sie in der Nacht munter und dreht mitunter im Zimmer alles auf den Kopf.

Herzliche Grüße zu Dir, C Stern

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Brigitte Fuchs
Brigitte Fuchs
Jun 07

Das ist eine schwierige Situation, die von allen Beteiligten viel abverlangt.

Aber das Liebhaben ist wohl auch hier das beste Rezept für die zunehmend verunsicherte Mutter.

Euch allen beste Wünsche und liebe Grüsse,

Brigitte

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C*
C*
Jun 07
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Die Vergangenheit war sehr schwierig, weil meine Mutter den üblen Launen meines Vaters ausgesetzt war. Die völlig unbegründete Angst, auch in der Gegenwart kein Geld zu haben, hat sich allerdings in ihr Langzeit-Gedächtnis eingebrannt.

Heimkosten werden zwischen Vater Staat und dem jeweiligen verpflichtenden Anteil der Heimbewohner*innen aufgeteilt, so ist das in Österreich geregelt.

Sämtliche Arzt- und Behördengänge, manchmal auch Besorgungen anderer Art und die Wachsamkeit über die elterlichen Finanzen habe ohnehin vor einigen Jahren ich übernommen. Da wartet immer genug zu tun - aber sonst ist die Situation besser denn je zuvor. Da kann ich nur dankbar sein!

Ja, das Lieben ist das wichtigste für meine Mutter - nicht nur die Liebe, die wir Kinder für sie empfinden, sondern auch,…

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stemmer.recklinghausen
stemmer.recklinghausen
Jun 06

Schön, wenn man erleben kann, dass die Mutter so gut untergebracht ist. Dennoch kann ich das Schwere gut nachvollziehen - aber auch das scheint ja immer wieder vorbeizugehen.

Liebe Grüße

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C*
C*
Jun 06
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Die Betreuungssituation im Haus ist personell wohl durchaus eine Herausforderung - es gibt fast keine Betreuer*innen mehr aus der Zeit, in der meine Mutter eingezogen ist. Dennoch geben sich die Mitarbeiter*innen viel Mühe, bei allen Herausforderungen immer wieder ein schönes Programm für die alten Menschen zu gestalten. Das Haus und die Gartenanlage sind sehr schön, das wissen auch viele Einwohner*innen zu schätzen.

Herzliche Nachmittagsgrüße!

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