Glückliches Wachsen - eine Selbstverständlichkeit? Weder in der Realität, noch im Film.
Ich freue mich, den großartigen Film The Quiet Girl gesehen zu haben. Der Film, den wir in der Originalsprache Gälisch gesehen haben, ist ein echtes Juwel und wurde zurecht mit diversen internationalen Filmpreisen ausgezeichnet. Es ist ein leiser Film, dessen Regisseurin mit viel Feingefühl seine starke Handlung zeichnet und wenige Wochen aus dem Leben der neunjährigen Cáit zum Thema hat.
Das Mädchen, in den 1970er Jahren in Irland geboren, wächst in einer dysfunktionalen Familie auf, die von ihm kaum Notiz nimmt - und schon gar nicht auf positive Weise: Die Mutter ist wieder schwanger, die älteren Schwestern treten dem Mädchen nur mit Gehässigkeiten entgegen, der Vater, ein fauler Nichtsnutz, ist kaum präsent und auch nicht an seiner Familie interessiert. Die finanzielle Situation ist bedrückend, die Mutter weiß kaum, wie sie ihre Familie sattbekommen soll. Tristesse, so weit das Auge reicht.
Glückliches Wachsen, ins Leben hineinwachsen, das Leben vertrauensvoll als Abenteuer annehmen und begreifen können, all das ist nicht selbstverständlich, aber so wichtig für die Entwicklung eines jungen Menschen. Und wenn es nur einen Menschen gibt, der ein Kind sieht, versteht, annimmt, wie es ist, und liebt, wie es ist, dann ist dies ein großer Segen, ein großes Glück. Dieses Glück erfährt das stille Mädchen bei der Cousine der Mutter, wo Cáit den Sommer verbringt. Gleich bei der Ankunft auf der Farm wird das Mädchen von Eibhlín liebevoll begrüßt, rasch mit menschlicher Wärme umsorgt und mit frischer Kleidung ausgestattet, denn der lustlose Vater (Zitat: "Dann frisst sie jetzt euch die Haare vom Kopf") ist wieder mit dem Koffer des Mädchens abgefahren.
Zu Eibhlín fasst Cáit rasch Vertrauen, während Eibhlíns Mann Seán zunächst reserviert bleibt. Im Haus gebe es keine Geheimnisse, meint Eibhlín zu Cáit, und so erfährt das Mädchen zum ersten Mal in seinem Leben, was Geborgensein bedeutet. Die neue und stille Art, das Leben anzunehmen und zu leben, lässt das Mädchen langsam erblühen und gedeihen. Und doch spürt es eine Melancholie, die auf dem Haus lastet: Eines Tages erfährt Cáit die Hintergründe von einer klatschsüchtigen Nachbarin. Zu diesem Zeitpunkt hat Cáit allerdings auch schon Seáns Herz erobert. In ihrem Herzen nimmt er den Platz eines sozialen Vaters ein. Als die Ferien zu Ende gehen und Cáit gemeinsam mit Eibhlín und Seán die Heimreise antritt, wird das Mädchen Seán vertrauensvoll Daddy nennen.
Ich habe den Kinosaal mit der Hoffnung verlassen, dass das Mädchen bei seinen liebevollen Verwandten bleiben darf. Der Film wandert aus gutem Grunde in meine Rubrik "Tipps / Empfehlungen".
Ist ja nur ein Film, darauf werde ich immer wieder einmal hingewiesen, wenn ich in Emotionen gerate, aber: Meine Hoffnung ist zweifelsohne all jenen Kindern gewidmet, deren schweres Leben ich einige Jahre begleitet habe. Wie oft habe ich mir für meine Schützlinge liebevolle Pflegeeltern gewünscht ...
#Kinder #Eltern #Filmtipps Foto: Pixabay, "422694"
Das hört sich nach einem Film für mich an, liebes C. Danke für Deine Gedanken. Mir geht es auch oft so wie Dir... Dir ein lichterfülltes drittes Adventswochenende. Herzlichst, Nicole
Liebe C*,
bei deinen Schilderungen muss ich gleich an zweierlei denken - zum einen an die Geschichte von Sharbat Gula, die ich derzeit in meinem Blog erzähle (und ich frage mich, ob sie jemals einen Menschen fand, der ihr so nahe stand wie Eibhlín der neunjährigen Cáit.) Zum anderen sehe ich mir schon seit einiger Zeit auf Netflix die Serie "Anne with an E" an - https://de.wikipedia.org/wiki/Anne_with_an_E -
die von einem Waisenmädchen in Kanada im frühen 20. Jahrhundert handelt. Hier geht es um ursprüngliches Verstoßensein, Außenseitertum, aber auch ums Finden einer Familie, Liebe, Freundschaft... und um die Kraft der Fantasie. Das Mädchen ist übrigens rothaarig - schade, dass ich diese Geschichte in meiner Kindheit noch nicht kannte...
Glückliches Aufwachsen ist…
kann es sein, dass ich diese geschichte gelesen habe? ich glaube, beim lesen hier war mir das mädchen wieder sehr präsent wie der vorherigen kommentatorin. so viel verschüttetes lebensglück, soviel leid. herzlichen gruß, roswitha
Liegt dem Film ein Roman zugrunde? Ich meine mich an eine solche Geschichte zu erinnern, erinnere den Titel aber nicht. Mein Ruhepunkt war mein Oppa - ein stiller Mann, der einfach nur da war. Das, was er für mich war, habe ich erst als Erwachsene tatsächlich begriffen. Sein Satz: Lass das Mädchen mal! war heilsam. Herzliche Grüße in deinen Morgen
Hach, wie schön!
Diesen Film werde ich mir bei Gelegenheit ganz sicher anschauen.
Und man kann nur hoffen, dass alle Menschen, wie das stille Mädchen, in ihrem Leben erfahren, was Liebe und Geborgenheit bedeuten und bewirken.
Danke für die Worte und lieben Gruss ins Heute,
Brigitte