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Umgekehrte Pubertät

  • Autorenbild: C*
    C*
  • vor 4 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: vor 2 Tagen

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Hormonell gesteuert - allerdings war ich mir dieser Tatsache noch nicht bewusst -, so habe ich in meiner Jugend den Protest gegen meine kleine äußere Welt gelebt: Ich hatte kaum ein Blatt vor dem Mund, war äußerst genervt von engstirnigen Eltern und anderen Erwachsenen, lieferte nicht nur verbal Proteste, sondern auch mit meiner äußeren Erscheinung. Meine Freiräume waren in meinem konservativen Elternhaus stark begrenzt, so habe ich in dieser Zeit auch mit allerlei Mitteln darum gekämpft, diese Freiräume zu erlangen. Wiederholt habe ich mich nicht an jenen Orten befunden, von denen ich vorgab, dort zu sein. Ich sah keine andere Möglichkeit, die Welt wenigstens ein bisschen zu erobern ...


Rund vierzig Jahre später erlebe ich also meine umgekehrte Pubertät und es geht erneut darum, die Welt zu erobern. Aber: Ist es noch jene Welt, in der ich mich bislang bewegt habe?

Ich befinde mich mitten in meinen Wechseljahren. Anfangs erlebte ich die so unerträglichen Hitzewallungen, dazu kamen mit der Zeit heftige Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen (die auch für mich unerträglich waren), Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Antriebs- und Kraftlosigkeit und schließlich auch existenzielle Ängste, die mich in eine Abwärtsspirale drängten: Beginnend mit dem Sommer 2023 spitzte sich die hormonelle Schieflage derart zu, dass ich unterschiedliche Ärzt*innen konsultierte. Gleichzeitig lähmte mich monatelang eine heftige Gastritis; meine Schonkost war so karg und einseitig, dass ich in kurzer Zeit deutlich an Gewicht verlor und eine hochkalorische Trinknahrung zu mir nehmen musste. Ich erlebte mich als sehr depressiv und schließlich sorgten die Depression und die mich quälende Schlaflosigkeit voriges Jahr für einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt. Es war mir nicht mehr möglich, für mich selbst zu sorgen.


In Phasen, in denen ich nun wieder aufnahmefähiger bin, lese ich viel über die Wechseljahre. Es ist hilfreich für mich, zu erfahren, wie diese von anderen Frauen erlebt werden. Vor kurzem las ich dazu einen Artikel in einer Zeitschrift, der eine schmerzhaft erlebte mangelnde Belastbarkeit zum Inhalt hatte. Eine betroffene Frau schildert sich als ehemals sehr stressresistent, für sie war es immer möglich, Höchstleistungen im Berufs- und Privatleben zu erbringen. Und plötzlich, auf einmal, ist alles anders. Ihre Leistungsfähigkeit schildert die Autorin als sehr eingeschränkt, was auch für Spannungen im Familienleben sorgt. Demnach überfordern sie laut eigenen Aussagen Kleinigkeiten; alles, was früher leicht von der Hand ging, gestaltet sich nun schwierig, Selbstvorwürfe inklusive. Die Kinder sind aus dem Haus, doch die neuen Freiräume kann sie nicht genießen. Dazu fühlt sie sich inzwischen als sehr dünnhäutig.

Damit ist die Autorin nicht allein, auch viele andere betroffene Frauen sehnen sich einfach nur danach, sich u.a. wieder als lebendig und begeisterungsfähig zu erleben.


Kann Frau den Wechseljahren auch etwas Positives abgewinnen? Ja, eindeutig ja, wie ich immer wieder höre und lese, und so bin ich bereit, einen selbstverständlicheren Umgang mit dieser Lebensphase zu erlernen. Wichtig dabei scheint mir jedenfalls auch zu sein, mich keinem Selbstdruck mehr auszusetzen. Sehr angenehm fühlt sich ebenfalls an, mir mehr Selbstwertschätzung zu schenken.

Was bedeutet dieser Lebensabschnitt noch für mich? Ich übe mich darin, anzunehmen, was ist; ich übe mich auch darin, zu akzeptieren, dass ich nicht mehr so leistungsfähig bin. Ich überprüfe meine Werte und erkenne, dass mir Perfektion nicht mehr so wichtig ist. Es gilt, einen neuen Lebensrhythmus zu finden, die Weichen neu zu stellen. Ich fühle mich eingeladen, meine Energien bewusster einzusetzen. Jetzt ist die Zeit, mir liebevoller zu begegnen, meinen Wünschen und Bedürfnissen mehr Raum zu schenken.

Dazu gehört aus meiner Erfahrung manchmal auch, anderen Menschen Grenzen zu setzen.


Für sehr wichtig erachte ich auch, dass die so prägenden Wechseljahre kein gesellschaftliches Tabu mehr sind. Es soll ein Thema sein, wie sich der Umgang damit an Arbeitsplätzen zeigt. Es gibt Frauen, die so sehr unter den Auswirkungen ihrer Wechseljahre leiden, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Jede vierte Frau überlegt, ihren Arbeitsplatz aufzugeben - und so mancher Frau bleibt gar nichts anderes übrig, was u.a. schwere Einschnitte bei der Pension bedeuten kann.


Foto: C* - Ausstellung Touch Nature, Lentos, Linz

 
 
 

6 Kommentare


stemmer.recklinghausen
stemmer.recklinghausen
vor 2 Tagen

Für mich geht's nicht mehr darum, die Welt zu erobern, sondern eher meine Innenwelt zu erforschen und bisher unbekannte Schätze zu heben bzw. mir selbst auf die Schliche zu kommen, wie und wo ich mich durch Glaubenssätze selbst begrenze in meinem Denken, meinem Tun. Ja, es ist ein Hinterfragen wie in der Pubertät, und auch der Körper macht Dinge, die ich manchmal nur marginal verändern kann. Er zwingt mich immer wieder zu überprüfen, liegt es in meinem Ermessen, etwas zu verändern oder muss ich lernen, damit zu leben? Liebe Grüße und einen angenehmen Sonntag.

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C*
C*
vor einem Tag
Antwort an

Danke für Deine erweiternden Gedanken - sie machen klarer, was auch mir wichtig ist (vielleicht habe ich selbst es nicht so deutlich transportieren können).

Es ist meine innere Welt, die ich ebenso gerne noch tiefer erfassen möchte - genauso ist es allerdings auch mein Wunsch, wieder offener zu sein für das Außen, beispielsweise für kulturelle Erlebnisse. Das hat mir in den letzten Jahren tatsächlich aus unterschiedlichen Gründen häufig gefehlt, ich fühlte meinen Raum als sehr begrenzt.

Meine mich limitierenden Glaubenssätze waren in den letzten Wochen stark in meinem Fokus, hier ist ein nachhaltiger Wandel hin zum Denken in Fülle mein Ziel.

Mit meinem heutigen Tag bin ich sehr zufrieden, wir waren im Kino und haben einen beeindruckenden Film gesehen ("Amrum"…


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andreaobi
vor 3 Tagen

Wenn ich deine Gedanken zu dem Thema lese, liebe C Stern, wird mir bewusst, welches Glück ich hatte. Glück in dem Sinn, sagen zu können, an mir ist das Thema irgendwie unbemerkt vorbeigegangen. Oder sah ich Veränderungen an mir nicht in Bezug damit. Das mag sein, schließlich ist mein Mann in der Zeit verstorben, was mich eh aus dem Gleichgewicht geworfen hat. Da hat sich so manches darauf konzentriert und von anderen Dingen abgelenkt bzw. sah ich hier die Ursache. Gerade auch für meine schwere Depression. Aber wenn ich jetzt überlege, lag ich vielleicht gar nicht richtig damit, und es hatte noch andere Ursachen. Wie gesagt, den Gedanken hatte ich eigentlich noch nie. Ich war nur froh, dass ich keine…


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C*
C*
vor 3 Tagen
Antwort an

Liebe Andrea,

der so schmerzliche Verlust Deines Mannes war wohl eine nachhaltige Zäsur in Deinem Leben. Es hat, wie ich mir gut vorstellen kann, alles andere in Deinem Leben übertönt.

Es gibt ganz unterschiedliche Erfahrungen zu den Wechseljahren. Ich habe früher nicht viel darüber nachgedacht, sondern diese einfach auf mich zukommen lassen. Alles, was ich mir in diesem Zusammenhang wünsche, ist, dass ich die stärksten Auswirkungen überstanden habe. Viel Ausgleich ist in dieser Zeit ganz besonders nötig, vor allem auch in der Natur. Diesen Rat höre ich immer wieder. Jetzt ist es mir ja wieder möglich, der Natur zu folgen.

Ganz liebe Grüße 🏵️

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gudrunebert
vor 4 Tagen

„Es gilt, einen neuen Lebensrhythmus zu finden …“ Du wirst ihn finden, liebe Chris. Das sagt eine, die das schon hinter sich hat. Es ist Suchen, Probieren, Abwägen, aber auch Finden und Staunen. Und dann habe ich Eigenschaften an mir entdeckt, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Es ist gut und auch dringend notwendig, dass sich nun auch die Medizin mit dem Thema Frau beschäftigt.

Herzliche Grüße an dich.

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C*
C*
vor 4 Tagen
Antwort an

Sehr wertschätzend von Dir, Deine bekräftigenden Worte. Dankeschön, liebe Gudrun!

Da ich Schöpferin meines Lebens sein möchte, bleibt mir ja gar nichts anderes übrig, als meinen Weg und meinen Rhythmus zu finden 😀 Und diese Suche fühlt sich genau so an, wie Du es schilderst: Suchen, Probieren, Abwägen, Finden, Staunen, Entdecken. Neugierig bleiben, auch für bisher unbekannte Eigenschaften.

Ich bin sehr überzeugt, dass auch der Bereich der Gendermedizin noch mehr Aufmerksamkeit und Wirksamkeit braucht.

Frauen, die ihren Ressourcen gemäß arbeiten können, werden sich auch an ihren Arbeitsplätzen wohler fühlen. Mit Mitte fünfzig wird es am Arbeitsmarkt sehr viel enger, aber ich bleibe zuversichtlich.

Herzliche Grüße an Dich 🍀

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