Umgekehrte Pubertät
- C*
- vor 4 Tagen
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Aktualisiert: vor 2 Tagen

Hormonell gesteuert - allerdings war ich mir dieser Tatsache noch nicht bewusst -, so habe ich in meiner Jugend den Protest gegen meine kleine äußere Welt gelebt: Ich hatte kaum ein Blatt vor dem Mund, war äußerst genervt von engstirnigen Eltern und anderen Erwachsenen, lieferte nicht nur verbal Proteste, sondern auch mit meiner äußeren Erscheinung. Meine Freiräume waren in meinem konservativen Elternhaus stark begrenzt, so habe ich in dieser Zeit auch mit allerlei Mitteln darum gekämpft, diese Freiräume zu erlangen. Wiederholt habe ich mich nicht an jenen Orten befunden, von denen ich vorgab, dort zu sein. Ich sah keine andere Möglichkeit, die Welt wenigstens ein bisschen zu erobern ...
Rund vierzig Jahre später erlebe ich also meine umgekehrte Pubertät und es geht erneut darum, die Welt zu erobern. Aber: Ist es noch jene Welt, in der ich mich bislang bewegt habe?
Ich befinde mich mitten in meinen Wechseljahren. Anfangs erlebte ich die so unerträglichen Hitzewallungen, dazu kamen mit der Zeit heftige Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen (die auch für mich unerträglich waren), Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Antriebs- und Kraftlosigkeit und schließlich auch existenzielle Ängste, die mich in eine Abwärtsspirale drängten: Beginnend mit dem Sommer 2023 spitzte sich die hormonelle Schieflage derart zu, dass ich unterschiedliche Ärzt*innen konsultierte. Gleichzeitig lähmte mich monatelang eine heftige Gastritis; meine Schonkost war so karg und einseitig, dass ich in kurzer Zeit deutlich an Gewicht verlor und eine hochkalorische Trinknahrung zu mir nehmen musste. Ich erlebte mich als sehr depressiv und schließlich sorgten die Depression und die mich quälende Schlaflosigkeit voriges Jahr für einen zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt. Es war mir nicht mehr möglich, für mich selbst zu sorgen.
In Phasen, in denen ich nun wieder aufnahmefähiger bin, lese ich viel über die Wechseljahre. Es ist hilfreich für mich, zu erfahren, wie diese von anderen Frauen erlebt werden. Vor kurzem las ich dazu einen Artikel in einer Zeitschrift, der eine schmerzhaft erlebte mangelnde Belastbarkeit zum Inhalt hatte. Eine betroffene Frau schildert sich als ehemals sehr stressresistent, für sie war es immer möglich, Höchstleistungen im Berufs- und Privatleben zu erbringen. Und plötzlich, auf einmal, ist alles anders. Ihre Leistungsfähigkeit schildert die Autorin als sehr eingeschränkt, was auch für Spannungen im Familienleben sorgt. Demnach überfordern sie laut eigenen Aussagen Kleinigkeiten; alles, was früher leicht von der Hand ging, gestaltet sich nun schwierig, Selbstvorwürfe inklusive. Die Kinder sind aus dem Haus, doch die neuen Freiräume kann sie nicht genießen. Dazu fühlt sie sich inzwischen als sehr dünnhäutig.
Damit ist die Autorin nicht allein, auch viele andere betroffene Frauen sehnen sich einfach nur danach, sich u.a. wieder als lebendig und begeisterungsfähig zu erleben.
Kann Frau den Wechseljahren auch etwas Positives abgewinnen? Ja, eindeutig ja, wie ich immer wieder höre und lese, und so bin ich bereit, einen selbstverständlicheren Umgang mit dieser Lebensphase zu erlernen. Wichtig dabei scheint mir jedenfalls auch zu sein, mich keinem Selbstdruck mehr auszusetzen. Sehr angenehm fühlt sich ebenfalls an, mir mehr Selbstwertschätzung zu schenken.
Was bedeutet dieser Lebensabschnitt noch für mich? Ich übe mich darin, anzunehmen, was ist; ich übe mich auch darin, zu akzeptieren, dass ich nicht mehr so leistungsfähig bin. Ich überprüfe meine Werte und erkenne, dass mir Perfektion nicht mehr so wichtig ist. Es gilt, einen neuen Lebensrhythmus zu finden, die Weichen neu zu stellen. Ich fühle mich eingeladen, meine Energien bewusster einzusetzen. Jetzt ist die Zeit, mir liebevoller zu begegnen, meinen Wünschen und Bedürfnissen mehr Raum zu schenken.
Dazu gehört aus meiner Erfahrung manchmal auch, anderen Menschen Grenzen zu setzen.
Für sehr wichtig erachte ich auch, dass die so prägenden Wechseljahre kein gesellschaftliches Tabu mehr sind. Es soll ein Thema sein, wie sich der Umgang damit an Arbeitsplätzen zeigt. Es gibt Frauen, die so sehr unter den Auswirkungen ihrer Wechseljahre leiden, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Jede vierte Frau überlegt, ihren Arbeitsplatz aufzugeben - und so mancher Frau bleibt gar nichts anderes übrig, was u.a. schwere Einschnitte bei der Pension bedeuten kann.
Foto: C* - Ausstellung Touch Nature, Lentos, Linz
Für mich geht's nicht mehr darum, die Welt zu erobern, sondern eher meine Innenwelt zu erforschen und bisher unbekannte Schätze zu heben bzw. mir selbst auf die Schliche zu kommen, wie und wo ich mich durch Glaubenssätze selbst begrenze in meinem Denken, meinem Tun. Ja, es ist ein Hinterfragen wie in der Pubertät, und auch der Körper macht Dinge, die ich manchmal nur marginal verändern kann. Er zwingt mich immer wieder zu überprüfen, liegt es in meinem Ermessen, etwas zu verändern oder muss ich lernen, damit zu leben? Liebe Grüße und einen angenehmen Sonntag.
Wenn ich deine Gedanken zu dem Thema lese, liebe C Stern, wird mir bewusst, welches Glück ich hatte. Glück in dem Sinn, sagen zu können, an mir ist das Thema irgendwie unbemerkt vorbeigegangen. Oder sah ich Veränderungen an mir nicht in Bezug damit. Das mag sein, schließlich ist mein Mann in der Zeit verstorben, was mich eh aus dem Gleichgewicht geworfen hat. Da hat sich so manches darauf konzentriert und von anderen Dingen abgelenkt bzw. sah ich hier die Ursache. Gerade auch für meine schwere Depression. Aber wenn ich jetzt überlege, lag ich vielleicht gar nicht richtig damit, und es hatte noch andere Ursachen. Wie gesagt, den Gedanken hatte ich eigentlich noch nie. Ich war nur froh, dass ich keine…
„Es gilt, einen neuen Lebensrhythmus zu finden …“ Du wirst ihn finden, liebe Chris. Das sagt eine, die das schon hinter sich hat. Es ist Suchen, Probieren, Abwägen, aber auch Finden und Staunen. Und dann habe ich Eigenschaften an mir entdeckt, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Es ist gut und auch dringend notwendig, dass sich nun auch die Medizin mit dem Thema Frau beschäftigt.
Herzliche Grüße an dich.