Solidarität
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In Anbetracht politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen ist es von enormer Bedeutung, das Gemeinschaftsgefühl zu prägen und zu stärken, sowie Bewusstsein für ein echtes Miteinander zu schaffen.
Ich war in meinem mittlerweile 35jährigen Berufsleben immer mit leidenschaftlicher Tatkraft und Ernsthaftigkeit in meinen vielseitigen Arbeitsbereichen zugange. Nach fünfzehn sehr arbeitsintensiven Jahren in einigen Unternehmen wechselte ich nach einer einjährigen gesundheitlichen Zwangspause in den sozialen Arbeitsbereich. Auch dort habe ich ohne Rücksicht auf eigene Befindlichkeiten allzeit geliefert und musste dafür besonders in den letzten Jahren wiederum einige längere Krankenstände akzeptieren.
Seit einigen Wochen befinde ich mich nach meiner vorjährigen psychiatrischen Reha und einem danach folgenden Rückfall nun in meiner beruflichen Reha. Meine Teilnahme an diesem Programm erlebe ich als sehr ambivalent: Einerseits bin ich dankbar dafür, dass es diese Möglichkeit gibt. Andererseits empfinde ich mich als Bittstellerin gegenüber dem Staat, der tatsächlich auch schriftlich von mir verlangt hat, wieder - ohne berufliche Reha - voll funktionsfähig zu sein. Meine Erkrankung wurde trotz mehrerer eindeutiger aktueller Befunde, die ich vorlegte, nicht anerkannt, einem Schreiben dazu ist zu entnehmen, ich solle mich am üblichen Arbeitsmarkt orientieren. Mein Glück ist, dass sich das AMS dieser Einschätzung der Pensionsversicherungsanstalt nicht angeschlossen und mir die aktuelle Reha gestattet hat. Ich fühle mich trotzdem gewaltig unter Druck, rasch wieder Leistung abrufen zu können. Mein Kopf kann allerdings noch nicht bei allen Aufgabenstellungen folgen. Mir fällt auf, dass ich große Mühe habe, mich bei komplexeren administrativen Tätigkeiten zu konzentrieren. Das Nachfragen ist mir äußerst unangenehm. Auch meine Merkfähigkeit ist noch deutlich unter meinen Möglichkeiten, ebenso suche ich nach meiner früheren Selbstsicherheit. Gerade dieser Punkt ist eine enorme Herausforderung für mich, denn es fehlt mir schmerzlich meine gewohnte Selbstverständlichkeit, alle mir gestellten Aufgaben effizient und leichthändig zu erledigen. Erleichtert bin ich allerdings darüber, wenn ich mich bestimmten Erledigungen, die regelmäßig ablaufen, schon gewachsen fühle.
Meine Freundin, die mich außergewöhnlich gut aus einer länger zurückliegenden sehr fruchtbaren beruflichen Zusammenarbeit kennt, bringt meine Anspannung auf den Punkt: Menschen werden zu Bittsteller*innen gemacht, von einer Gesellschaft, die vorgibt, Leistung zu belohnen und von angeblicher Nicht-Leistung belastet zu sein. Weiters gibt sie mir zu bedenken, mich nicht als Bittstellerin zu fühlen, sondern als Empfängerin von Solidarität. Eine Solidarität, auf die jeder Mensch im Laufe seines Lebens angewiesen ist, aus ganz unterschiedlichen Gründen, und auch dann, wenn er seine Pension antritt. Dieses Bild der Solidarität vor Augen, möchte ich verinnerlichen können, dass ich derzeit Hilfe brauche, während ich sonst üblicherweise die Helfende war und auch noch bin. Es ist keine Schande, auf Hilfe angewiesen zu sein, auch dieser Einschätzung sollte ich vertrauen.
Dass es Menschen gibt, denen es ganz und gar nicht unangenehm ist, auf schamlose Weise tief in Steuertöpfe zu greifen, zeigt sich immer wieder.
Vor einigen Wochen musste Harald Mahrer als Präsident der Österreichischen Wirtschaftskammer sowie der Nationalbank und als Chef des ÖVP-Wirtschaftsbundes eben diese drei wohl bestens gepolsterten Sessel räumen. Harald Mahrer war aufgrund seiner Mehrfachfunktionen seit Jahren Kritik ausgesetzt, zeitweise soll er laut Medienberichten sieben Spitzenfunktionen bekleidet haben - ist es zu fassen? Er wurde letztendlich auch aus Teilen seiner ÖVP angefeindet, über Gründe erlaube ich mir zu spekulieren: Es steht arg schlecht um die Umfragewerte der ÖVP, man soll sich auch schon wieder nach einem bestimmten jungen politischen Houdini an der Spitze der Partei sehnen, das entnehme ich kopfschüttelnd und verärgert mehreren Zeitungsquellen.
Hintergrund für Mahrers "Abschließen" seiner Tätigkeiten (wie er es nannte) war unter anderem der heftige Aufruhr in den Medien und in der Bevölkerung, als eine üppige Gehaltserhöhung für alle Wirtschaftskammer-Mitarbeiter*innen bekannt wurde. Ausgerechnet jetzt, da alle sparen müssen! Außerdem wurde bekannt, wie enorm die Gehälter der Länderkammerfunktionäre erhöht wurden.
Es gibt zu viele Leute, denen es an Fairness und Solidarität mangelt - nicht nur in der Politik und in der Wirtschaft.
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun, so hat es einst Molière formuliert.
In diesem Sinne: Ein Hoch auf die Solidarität, auf ein gelebtes Miteinander - wie es bei den Lakota so schön heißt: Mitakuye Oyasin - Wir sind alle miteinander verwandt.
Foto: C*, März 2023
Raising Hands von Julia Bugram, mit Hilfe von vielen Menschen aus der Bevölkerung entstanden. Die Skulptur, die vor dem Wiener Stephansdom situiert war, besteht aus einer Million 1-Cent-Münzen und ist ein Symbol für Solidarität sowie für ein respektvolles, wertschätzendes Miteinander.
Für die Umsetzung der Skulpur hätte ein einzelner Mensch schätzungsweise zwei Jahre gebraucht, mit Hilfe von rund 3800 Menschen verkürzte sich diese Zeit jedoch auf einige Monate.



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