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Gelebte Freundschaft




In den letzten Wochen hatten meine Flügel große Schwierigkeiten dabei, sich auszubreiten. Und wenn ich genauer auf meine letzten Monate blicke, dann weiß ich, dass es besonders seit Sommer des Vorjahres sehr eng geworden ist in meinem Energiehaushalt, mein Körper hat massiv und immer wieder aufgezeigt. Mehr und mehr fühlte ich mich rundum aufgesogen von laut dröhnenden Botschaften wie "Ich sollte!", "Ich muss!", "Mach doch dieses und jenes!" - und immer deutlicher wurde meine verzweifelte innere Antwort:

"Ich kann nicht mehr!" Durchaus auch laut ausgesprochen - und doch nicht gehört bzw. verstanden. Wie denn auch? Selbstkritik ist angesagt: Ein konsequentes "Nein! Es geht nicht mehr!" hätte anders ausgesehen, als wieder zu tun und zu laufen. Sicher, meine Eltern sind in ihren Seniorenhäusern auf ihre Weise versorgt, aber das bedeutet nicht, dass (meine) Hilfe nicht mehr gebraucht wird: Rasch benötigte neue Kleidung kauft sich eben nicht von allein; Arztbesuche, Behördenkram, Banken und Versicherungen, alles rund um diese Themen läuft über mich bzw. meinen Schreibtisch und in meiner juristisch festgelegten Verantwortung. Die Tochter in greifbarer Nähe, eine Dienende. Da war in den letzten Jahren so einiges los, besonders in den letzten Monaten - hängengeblieben an der Person, die fassbar ist und praktischerweise in der Nähe der Eltern und der elterlichen Wohnung (da soll ja auch regelmäßig nach dem Rechten gesehen werden, Post und deren Bearbeitung usw.) lebt.

Die zweite Tochter, die Lieblingstochter, auf die die Familie hört, in weiterer Ferne. Wenn etwas gebraucht wird, kann man das der Schwester, die ja in guter Nähe zu den Eltern wohnt, auch noch aufhalsen: Wir haben schon genug um die Ohren: Schule, Lernen, einen Haushalt, einen zweiten Haushalt, Freizeitveranstaltungen, Arbeiten, ständig ist irgendjemand krank und erschöpft. Dieses Wochenende brauchen wir zur Erholung.

Urlaube planen und erleben, das gehört natürlich auch dazu! (Mein letzter Urlaub, an einem erholsamen Ort verbracht, liegt einige Jahre zurück.)

Die kinderlose Schwester soll nur wissen, wie sich Stress anfühlt - wenn man keine Familie hat, hat man nämlich auch keinen Stress. Wie? Schlappmachen? Gibt's doch nicht. Nicht, wenn man sich alles gut einteilt. Es folgen theatralisch vorgetragene Ratschläge und die Aufforderung, wichtige Unterlagen für den Vater jedenfalls noch korrekt abzuliefern. Überhaupt nicht interessant, wie's dem Menschen geht, der ebenfalls einen (nicht unproblematischen) Beruf und einen Haushalt hat und noch ein bisschen Zeit für die Partnerschaft haben möchte. Und dann setzt doch einmal ein ganz kurzes schwesterliches Nachdenken während eines Telefonats ein, weil ich innerhalb von 24 Stunden zwei Notfallambulanzen von innen gesehen habe. Mit zitternder Stimme erzähle ich in wenigen Sätzen davon. (Interessant ist das für mein schwesterliches Gegenüber am Telefon sowieso nicht! Viel wichtiger, die eigenen Kalamitäten mantraartig zu referieren.) Eine kuriose Idee folgt: Komm doch nächstes Wochenende zu uns! (Ich brauche Ruhe und echtes Verständnis und werde sicherlich nicht völlig entkräftet im Krankenstand mit Öffis 2,5 Stunden von A nach B reisen, an einen Ort, wo ich mich nicht gesehen fühle ...).


Als vor knapp zwei Wochen der geliebte Partner wieder seine unaufschiebbare Heimkehr antritt, kriecht große Angst in mir hoch: Inzwischen bin ich im Krankenstand, total erschöpft von wochenlanger Schlaflosigkeit und von meiner hartnäckigen Gastritis. Ich habe keinen Antrieb mehr, für mich allein Nahrhaftes zu kochen. Selbst das Teekochen fällt mir schwer. Völlig verzweifelt suchen wir nach Lösungen, denn ich kann nicht mehr allein bleiben. Ich erwähne zwei meiner engsten Vertrauten, Menschen, von denen ich glaube, dass sie mich aufnehmen und mich bei sich wohnen lassen. Mit zitternden Fingern greife ich nach dem Telefon und sofort wird mir Hilfe zugesagt - vier Arme sind weit ausgebreitet. Bei der Ankunft in der nahen Wohnung meiner Freunde bin ich völlig aufgelöst - vor Dankbarkeit und Verzweiflung. Es folgen Nächte des weiteren Probierens, um Schlaf zu ringen, es wird allerdings erst mit verordneten Schlaftabletten gelingen. Das kann aber keine Dauerlösung sein ... Etwas Appetit stellt sich rasch wieder ein, meine liebevollen Freunde sorgen für ein völliges Wohlgefühl, sie vermitteln mir ein kostbares Gefühl von Zugehörigkeit und Willkommensein. Ich spüre große innere und auch äußere Verbundenheit - wir stützen uns gegenseitig. Meine Freundin ist trotz ihrer eigenen gesundheitlichen Lage zuversichtlich und freut sich über meine Gesellschaft. Wir tun uns wechselseitig gut. Wir ziehen täglich Karten und sind über die zutreffenden Aussagen verblüfft, wir reden über vieles, wir kochen gemeinsam, wir gehen langsam spazieren, wir kaufen gemeinsam ein. Ich fühle mich geborgen. Der Hausherr, mein Freund über viele Jahre in vielen Situationen, überlegt und entwirft Strategien, welche medizinischen Einrichtungen mir helfen könnten, wie wir zu einem Termin gelangen könnten. Nebenbei schwingt er noch nach seinem langen und mühsamen Arbeitstag den Kochlöffel, wenn wir zwei Frauen einfach zu müde dafür sind. Als ich eines schlaflosen späten Abends noch Licht im Arbeitszimmer sehe, kann ich ebenso auf kluge und mitfühlende Unterstützung zählen.

Ich erlebe von beiden Menschen eine tiefe Freundschaft, die hält, was sie in Worten verspricht.

Ein weiterer, mir sehr wichtiger Mensch, taucht in dieser Zeit an meiner Seite auf, ist auch am Telefon immer wieder eine wichtige Stütze für mich. Von allen Seiten höre ich, dass ich immer für andere Menschen da war, auch, wenn es mir selbst nicht besonders gut ging. Und jetzt sei es eben einmal umgekehrt. Ja, ich darf lernen, Hilfe anzunehmen. Es fällt mir nicht leicht - und dennoch tut es unendlich gut!

Ich möchte rasch gesunden, aber ich spüre auch, da liegt noch ein Weg vor mir. Ich darf zur Ruhe kommen. Und in dieser Zeit auch lernen, wirksame Grenzen zu setzen.


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