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Schöne Männer

  • Autorenbild: C*
    C*
  • 27. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit
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Meine letzten Besuche bei meinen Eltern haben gemischte Gefühle bei mir hinterlassen.

Ich besuche meine Eltern einmal wöchentlich und bei Notwendigkeit auch öfter. Sie sind in unterschiedlichen Seniorenwohnhäusern untergebracht.

Während meine vierundachtzigjährige Mutter ihre Tage im großen Wohn-Ess-Raum verbringt, zieht sich mein siebenundachtzigjähriger Vater lieber auf sein Zimmer zurück, um sich dort seinen Zeitungen zu widmen - tagein, tagaus. Er möchte es gar nicht anders. Es interessiert ihn noch, was in dieser Welt vor sich geht. Das Politikgeschehen, Sportliches, ebenso wie gesellschaftliche Entwicklungen haben ihn auch in der Vergangenheit immer beschäftigt. An guten Tagen können wir darüber auch diskutieren und mein Vater erstaunt mich wiederholt mit seiner Weitsicht. Dann findet er sehr klare Worte dafür, was ihn bewegt. Manchmal ist er allerdings so zerstreut, dass es ihm schwerfällt, seinen Gedanken die passenden Worte zu verleihen.

Seit einigen Wochen sucht mein Vater in den Abendstunden oft seinen "dicken" Kalender. Das erfahre ich durch seine Anrufe, in denen er sich sehr aufgewühlt zeigt: "Ich suche meinen dicken Kalender, ich bin ganz verzweifelt, weil ich ihn nicht finden kann." - "Papa, wie lange bist du schon in Pension?" - "Seit ich sechzig Jahre alt bin." - "Seit dieser Zeit hast du keinen dicken Kalender mehr, den hattest du immer in deinen Berufsjahren." Mein Vater seufzt in diesem Moment - und ich bin froh, dass er mir glaubt. Das ist beileibe nicht immer der Fall. Gestern Abend sucht er wieder einmal diesen speziellen Kalender, darum ruft er mich verzweifelt an. Ich kann ihn beruhigen. Kaum haben wir das Gespräch beendet, läutet das Telefon wieder. Mein Vater ist erneut aufgebracht: "Ich muss einen Termin beim Augenarzt ausmachen." - "Nein, Papa, das musst du nicht. Ich vereinbare diesen Termin, aber es ist noch nicht soweit." Mein Vater lässt sich beruhigen, vorerst. Wir beenden unser Telefonat. Mein Magen meldet Unbehagen, ich merke, dass mich die Telefonate stressen - und erst recht die Vorstellung darüber, wie mein Vater seine Laden und Schränke durchwühlt. Ich mache mir Gedanken, dass er stürzt, das ist in den letzten Jahren unzählige Male passiert. Und dann läutet es noch einmal, wieder mein Vater: "Ich habe einen Termin bei meinem Zahnarzt, aber ich finde diesen nicht in meinem Kalender." - "Papa, ich habe alle deine Termine notiert, du hast in nächster Zeit keinen Zahnarzttermin. Ich sage dir Bescheid, wenn es soweit ist." - "Und begleitest du mich dann auch?" - "Natürlich, Papa, das mache ich doch immer."

Diese Telefonate wühlen mich auf, einerseits tut mir mein Vater sehr leid, andererseits erinnere ich mich, wie heftig er stets auf das Herumnesteln meiner Mutter reagiert hat, als sie noch in der gemeinsamen Wohnung lebte. Er hat nie verstanden, dass diese Unruhe zur Demenzerkrankung gehört.


Meine Mutter schläft inzwischen oft in den Vormittag hinein, sie bekommt Schmerzpflaster, die sie sehr müde machen. Wenn sie zu einem späten Frühstück geweckt wird, kann sie sehr ungnädig sein, das habe ich vor kurzem erlebt. Sie war außer sich und hat ihre Betreuerin und mich heftig und lautstark beschimpft.

Wenn Mama gut gelaunt ist, spielt sie gerne mit einer Puppe oder sie liest in einer Zeitung. Manchmal zählt sie einfach vor sich hin oder zupft an ihren Kleidungsstücken, bis Löcher entstehen. Wenn Mama liest, höre ich sie bereits, da kann ich sie noch gar nicht sehen. Lesen kann meine Mutter noch sehr gut, aber sie kann sich Inhaltliches schon lange nicht mehr merken. Wenn ich die Zeitungsseiten nicht umblättern würde, würde sie immer den gleichen Artikel lesen - und doch nichts davon behalten. Manchmal erzählt sie mir viel, aber der Inhalt ihrer Erzählungen ist sehr fiktiv. Sie erfindet immer noch ganz rasch Geschichten, die auch neue Wortschöpfungen enthalten, die sich mir allerdings leider nicht erschließen. Es ist kaum möglich, zu ergründen, was sie mit ihren Schilderungen meint.

Dennoch hat meine Mutter mitunter auch relativ klare Momente. In einem dieser Momente verblüfft sie mich wahrlich, ein schelmisches Grinsen leuchtet in ihrem Gesicht auf: "Ich bekomme Besuch von Männern - aber nur von schönen Männern." Mama bringt nicht nur mich zum Lachen. Alle, die ihre Aussage gehört haben, lachen, und das gefällt ihr: Sie kichert vergnügt vor sich hin.

Ein anderes Mal blickt sie mich sehr skeptisch an, als ich sie besuche. "Was machst du denn da?" - "Ich besuche dich, darf ich nicht?" - "Nur dann, wenn du gut küssen kannst." Na, da muss ich sie wohl schleunigst davon überzeugen, damit ich bleiben darf.

Ich bin froh, wenn meine Mutter gut gelaunt ist, dann weiß ich, dass sie keine Schmerzen hat. Dann ist ihre kleine Welt in Ordnung - und meine auch.

 
 
 

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10 Kommentare


Rosa Ananitschev
Rosa Ananitschev
29. Okt.

Liebe C Stern,


es ist eine schwere Zeit für Dich, aber ich halte es für großartig, wie Du Dich um Deine Eltern kümmerst und für sie da bist.

So traurig, aber leider kann man im Kopf der Demenzkranken nichts mehr „reparieren“, nicht einmal stoppen. Ich bekomme das live mit bei meiner Schwester. Wir telefonieren täglich, oft mehrmals, und ich merke, dass es langsam, aber sicher, schlimmer wird. Als erstes hat sie verlernt, mit ihrem Smartphone umzugehen. Nur mit Mühe und Not schafft sie es noch, anzurufen, alle anderen Funktionen kann sie nicht mehr begreifen: https://rosasblog54.com/2025/08/03/aneta/


Ich wünsche Dir noch eine angenehme Zeit mit Deinen Eltern – trotz allem. 💗


Herzliche Grüße

Rosa

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C*
C*
30. Okt.
Antwort an

Liebe Rosa,

sobald ich fitter und wieder raus bin aus dem Tal der Schwermut, ist es für mich inzwischen etwas weniger anstrengend, denn ich habe einiges durch meine Therapien gelernt. Ich war in der Fürsorge für meine Eltern viel zu perfektionistisch unterwegs. Und jetzt, wo ich manches mit etwas mehr Gelassenheit nehmen kann, läuft alles insgesamt so zufriedenstellend, dass ich damit gut leben kann. Es war ein langer Prozess bis hierher.

Anscheinend gibt es nun bessere Medikamente, um den Verlauf von Demenz zu beeinflussen, aber für meine Eltern kommen diese Medikamente zu spät. Ich bin Deinem Link über Aneta gefolgt, vielen Dank fürs Einstellen: Mir fällt die Parallele zu meinem Vater auf, er kommt mit seinem Seniorenhandy an manchen Tagen…


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Kleiner Staudengarten
Kleiner Staudengarten
28. Okt.

Auch wenn einige Situationen zum Schmunzeln sind, ist es doch traurig und bedrückend die Wesensveränderung geliebter Eltern oder Menschen zu sehen. Meine Eltern waren bis zu ihrem Tode sehr klar und noch an allem sehr interessiert und darüber bin ich immer noch sehr dankbar.

Ich wünsche dir viel Kraft bei dieser besonderen Lebenssituation für dich.

Lieben Gruß von Marita

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C*
C*
29. Okt.
Antwort an

Vielen Dank, liebe Marita!

Wenn Menschen bis zu ihrem Tod noch sehr vital und interessiert sind, dann ist das wohl für Eltern wie auch für ihre Kinder ein großes Geschenk.

Herzliche Grüße ins Nachbarland


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hausfrauhanna
hausfrauhanna
28. Okt.

Der Moment,

liebe C Stern,

mit deiner Mutter hat mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert (und mich in der Erinnerung zurückversetzt in die Zeit mit meinem dementen Vater).

Mit wieviel Einfühlungsvermögen und Verständnis du deine Betreuungsaufgabe wahrnimmst, beeindruckt mich sehr!

Mit lieben Grüssen zu dir

Hausfrau Hanna

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C*
C*
28. Okt.
Antwort an

Das Einfühlungsvermögen ist sicher vorhanden, dennoch bin ich tatsächlich gerade gegenüber meinem Vater manchmal sehr ungeduldig, liebe Hausfrau Hanna. Meine Nerven sind in den letzten Jahren nicht stärker geworden 🤥 Sicher triggert mich in solchen Situationen, dass mein Vater meiner Mutter einst keinerlei Verständnis entgegengebracht hat.

Danke für Deine lieben Worte, herzliche Grüße nach Basel


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Astridka
Astridka
28. Okt.

Seht traurig zu lesen, denn es erinnert an all die Begebenheiten in den zurückliegenden fünfzehn Jahren, als sämtliche lieben Menschen so aus ihrem bzw. meinem Leben verschwanden. Mit meiner Schwiegermutter waren wir einmal - zufälligerweise - in ihrem Lieblingslokal bei einem Tanztee anwesend. Sie wollte gar nicht fort. Sie meinte: „Ich sehe nur MÄNNER!“ So kannte ich sie gar nicht. Aber der Sexus kommt bei der Demenz wohl auch weniger maskiert zu Tage.

Alles Gute für dich unter diesen fordernden Lebensumständen!

Astrid

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C*
C*
28. Okt.
Antwort an

Liebe Astrid,

ja, es macht traurig, diesem Entschwinden machtlos gegenüberstehen zu müssen. Und es macht mich auch besorgt, denn ich erlebe diese Erkrankung bei beiden Eltern (meine Großmutter war auch davon betroffen und hat jahrelang in ihrer eigenen Anderswelt gelebt) und ich frage mich natürlich schon, ob ich dieser Krankheit auch einmal ausgeliefert sein werde. Ich hoffe natürlich auf Fortschritte in der Medizin.

Meine Mutter hat bedauerlicherweise kaum Besuche, außer von ihren beiden Töchtern, dem Enkel und den Schwiegersöhnen.

Ich weiß, dass sie immer einen liebevollen Ehemann vermisst hat, dass ihr ihre Fantasie nun Streiche spielt, finde ich in gewissem Maße sogar tröstlich.

Herzliche Grüße und danke für Deinen Zuspruch, C Stern

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Brigitte Fuchs
Brigitte Fuchs
28. Okt.

Du bist wahrlich nicht zu beneiden, liebe C Stern, so als Pufferzone zwischen deinen verwirrten und in ihrer Anderswelt lebenden Eltern. (Das ist uns bei unseren Müttern und Vätern, die alle nicht mehr leben, nicht passiert. Sie sind relativ rasch und ohne lange Krankheitsphasen gestorben. - Aber das kann man sich ja leider nicht aussuchen.)

Ich hoffe, du stehst das möglichst unbeschadet durch. Ich wünsche dir alle Kraft, die es dafür braucht.

Einen lieben Gruss zu dir, Brigitte


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C*
C*
28. Okt.
Antwort an

"Anderswelt" trifft es sehr gut.

Für beide Eltern habe ich mich auch aus rechtlicher Sicht verpflichtet, sie zu unterstützen bzw. Ansprechpartnerin für diverse Institutionen zu sein. Es wären diese Aufgaben bei meinem Nein zu dieser Verantwortung an familienfremde Menschen gefallen - und diese Vorstellung hat mir auch nicht behagt.

Danke für Deine Wünsche, innere Kraft und Energie sind besonders wichtig.

Herzliche Grüße


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