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Schöne Männer

  • Autorenbild: C*
    C*
  • vor 41 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit
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Meine letzten Besuche bei meinen Eltern haben gemischte Gefühle bei mir hinterlassen.

Ich besuche meine Eltern einmal wöchentlich und bei Notwendigkeit auch öfter. Sie sind in unterschiedlichen Seniorenwohnhäusern untergebracht.

Während meine vierundachtzigjährige Mutter ihre Tage im großen Wohn-Ess-Raum verbringt, zieht sich mein siebenundachtzigjähriger Vater lieber auf sein Zimmer zurück, um sich dort seinen Zeitungen zu widmen - tagein, tagaus. Er möchte es gar nicht anders. Es interessiert ihn noch, was in dieser Welt vor sich geht. Das Politikgeschehen, Sportliches, ebenso wie gesellschaftliche Entwicklungen haben ihn auch in der Vergangenheit immer beschäftigt. An guten Tagen können wir darüber auch diskutieren und mein Vater erstaunt mich wiederholt mit seiner Weitsicht. Dann findet er sehr klare Worte dafür, was ihn bewegt. Manchmal ist er allerdings so zerstreut, dass es ihm schwerfällt, seinen Gedanken die passenden Worte zu verleihen.

Seit einigen Wochen sucht mein Vater in den Abendstunden oft seinen "dicken" Kalender. Das erfahre ich durch seine Anrufe, in denen er sich sehr aufgewühlt zeigt: "Ich suche meinen dicken Kalender, ich bin ganz verzweifelt, weil ich ihn nicht finden kann." - "Papa, wie lange bist du schon in Pension?" - "Seit ich sechzig Jahre alt bin." - "Seit dieser Zeit hast du keinen dicken Kalender mehr, den hattest du immer in deinen Berufsjahren." Mein Vater seufzt in diesem Moment - und ich bin froh, dass er mir glaubt. Das ist beileibe nicht immer der Fall. Gestern Abend sucht er wieder einmal diesen speziellen Kalender, darum ruft er mich verzweifelt an. Ich kann ihn beruhigen. Kaum haben wir das Gespräch beendet, läutet das Telefon wieder. Mein Vater ist erneut aufgebracht: "Ich muss einen Termin beim Augenarzt ausmachen." - "Nein, Papa, das musst du nicht. Ich vereinbare diesen Termin, aber es ist noch nicht soweit." Mein Vater lässt sich beruhigen, vorerst. Wir beenden unser Telefonat. Mein Magen meldet Unbehagen, ich merke, dass mich die Telefonate stressen - und erst recht die Vorstellung darüber, wie mein Vater seine Laden und Schränke durchwühlt. Ich mache mir Gedanken, dass er stürzt, das ist in den letzten Jahren unzählige Male passiert. Und dann läutet es noch einmal, wieder mein Vater: "Ich habe einen Termin bei meinem Zahnarzt, aber ich finde diesen nicht in meinem Kalender." - "Papa, ich habe alle deine Termine notiert, du hast in nächster Zeit keinen Zahnarzttermin. Ich sage dir Bescheid, wenn es soweit ist." - "Und begleitest du mich dann auch?" - "Natürlich, Papa, das mache ich doch immer."

Diese Telefonate wühlen mich auf, einerseits tut mir mein Vater sehr leid, andererseits erinnere ich mich, wie heftig er stets auf das Herumnesteln meiner Mutter reagiert hat, als sie noch in der gemeinsamen Wohnung lebte. Er hat nie verstanden, dass diese Unruhe zur Demenzerkrankung gehört.


Meine Mutter schläft inzwischen oft in den Vormittag hinein, sie bekommt Schmerzpflaster, die sie sehr müde machen. Wenn sie zu einem späten Frühstück geweckt wird, kann sie sehr ungnädig sein, das habe ich vor kurzem erlebt. Sie war außer sich und hat ihre Betreuerin und mich heftig und lautstark beschimpft.

Wenn Mama gut gelaunt ist, spielt sie gerne mit einer Puppe oder sie liest in einer Zeitung. Manchmal zählt sie einfach vor sich hin oder zupft an ihren Kleidungsstücken, bis Löcher entstehen. Wenn Mama liest, höre ich sie bereits, da kann ich sie noch gar nicht sehen. Lesen kann meine Mutter noch sehr gut, aber sie kann sich Inhaltliches schon lange nicht mehr merken. Wenn ich die Zeitungsseiten nicht umblättern würde, würde sie immer den gleichen Artikel lesen - und doch nichts davon behalten. Manchmal erzählt sie mir viel, aber der Inhalt ihrer Erzählungen ist sehr fiktiv. Sie erfindet immer noch ganz rasch Geschichten, die auch neue Wortschöpfungen enthalten, die sich mir allerdings leider nicht erschließen. Es ist kaum möglich, zu ergründen, was sie mit ihren Schilderungen meint.

Dennoch hat meine Mutter mitunter auch relativ klare Momente. In einem dieser Momente verblüfft sie mich wahrlich, ein schelmisches Grinsen leuchtet in ihrem Gesicht auf: "Ich bekomme Besuch von Männern - aber nur von schönen Männern." Mama bringt nicht nur mich zum Lachen. Alle, die ihre Aussage gehört haben, lachen, und das gefällt ihr: Sie kichert vergnügt vor sich hin.

Ein anderes Mal blickt sie mich sehr skeptisch an, als ich sie besuche. "Was machst du denn da?" - "Ich besuche dich, darf ich nicht?" - "Nur dann, wenn du gut küssen kannst." Na, da muss ich sie wohl schleunigst davon überzeugen, damit ich bleiben darf.

Ich bin froh, wenn meine Mutter gut gelaunt ist, dann weiß ich, dass sie keine Schmerzen hat. Dann ist ihre kleine Welt in Ordnung - und meine auch.

 
 
 

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