Empathie ist die Fähigkeit eines Menschen, andere Menschen zu verstehen und nachzuempfinden. Häufig wird Empathie mit Einfühlungsvermögen übersetzt - Empathie sollte allerdings nicht mit Mitgefühl verwechselt werden. Mitgefühl und Teilnahme sind wesentliche Eigenschaften, die vor allem speziell narzisstisch geprägten Menschen fehlen. Allerdings verfügen Narzissten sehr wohl über die Gabe, andere Menschen zu analysieren, also wie mittels eines Radars zu verstehen, wie sie "ticken". Auf diese Weise ist es ihnen auch möglich, andere Menschen für die eigenen Zwecke zu manipulieren ...
Seit Sonntagabend bin ich durchgängig damit beschäftigt, meinem Vater jene Hilfe zukommen zu lassen, die einem Menschen, der in Not ist, zusteht. Genauso muss ich aber auch sehr darauf achten, diesen Mann nicht über meine Grenzen gehen zu lassen ... Er kann, was persönliche Grenzen betrifft, sehr manipulativ sein, er setzt auch Tränen ein, um seine Wünsche durchzubringen - und dann ist auch keine Verdichtung eines Unrechtsbewusstseins zu erkennen.
Auf dem Weg zu einem lange ersehnten Treffen mit Freunden erhielt ich am späten Sonntagnachmittag den Anruf meines Vaters, er sei mittags gestürzt. Mein Nachfragen ergab, dass er auf den Kopf gefallen sei, aber dass außer einer Beule am Kopf nichts passiert wäre, weshalb er verweigert habe, mit der über seinen Notruf verständigten Rettung ins Krankenhaus zu fahren. Da mein Vater seit zwei Jahren immer wieder mit Stürzen und Ohnmachtsgefühlen zu tun hat und voriges Jahr einen Schlaganfall mit Auswirkungen auf seine Augen erlitten hat, telefonierte ich noch mit meiner Schwester, was mich darin bestärkte, unser Treffen mit Freunden abzusagen. Mein Partner und ich eilten zur Wohnung meines Vaters, um dort das Wichtigste zusammenzupacken - an die umfangreiche Medikamentenliste muss auch immer gedacht werden - und ihn mit der Rettung ins Krankenhaus zu bringen. Jetzt war sogar meinem Vater klar, dass es kein Herumkommen um einen Krankenhausaufenthalt mehr gab. Im Krankenhaus wurde er zum Sturz befragt und er gab Auskünfte, die aufgrund offensichtlicher Verwirrung nicht korrekt waren. Ich hatte nämlich bei meinem Versuch, das tatsächliche Geschehen herauszufinden, erfahren, dass mein Vater bereits am Morgen gestürzt war und mich dann darüber stundenlang nicht informiert hatte (Nebensächlichkeiten - im Vergleich zu gesundheitlichen Problemen - werden allerdings immer umgehend an mich herangetragen und sollten auch prompt bearbeitet werden!). Im Krankenhaus wurde er erstversorgt, es wurde ein Röntgen vom Kopf gemacht, er konnte eine Nacht bleiben - und wurde am Montag bei - wörtlich - "stabilem Allgemeinzustand" (echt jetzt???) nach dem Mittagessen, das er noch eingefordert hatte, entlassen. Allein sein Heimkommen zu begleiten, war eine sehr fordernde Situation für mich, denn ich bin als Persönliche Assistentin tätig. Meine Arbeit ermöglicht es mir nicht, sofort alles liegen und stehen lassen zu können, um dem Vater zu Diensten zu sein. In der Abholsituation wurde ich darüber informiert, dass der Umgang mit meinem Vater ein schwieriger gewesen sei, er sei sehr bestimmend aufgetreten - ich weiß zu gut, was die Pflegekraft meinte: Aus sehr leidvoller und jahrzehntelanger Erfahrung könnte ich mit seinem rücksichtslosen Herrscherverhalten und seinen Eskapaden einige Bücher füllen.
Schon am darauffolgenden Dienstagmorgen informierte mich eine sehr besorgte Pflegerin meines Vaters, dass er sehr schwach sei, es sei ihr unverständlich, warum er nicht im Krankenhaus behalten worden sei. (Später wird sie mir bestätigen, dass sich mein Vater auch ihr gegenüber nicht vernünftig verhalten hat, obwohl die beiden ein grundsätzlich gutes Einvernehmen haben.) Also wiederum ein überstürzter Aufbruch meinerseits, mit dem Taxi zur elterlichen Wohnung, voller Sorgen, wie das alles noch weitergehen soll ...
Dort angekommen: Verweigerung meines Vaters, in ein Krankenhaus zu fahren. Ich überlege, ihn aufgrund seines ohnehin bekannten renitenten Verhaltens in die Psychiatrie einliefern zu lassen, leider erreiche ich den Psychiater, der meinen Vater schon lange kennt, nicht. Da ich nichts mehr für ihn tun kann, eile ich weiter, ins Pflegeheim meiner Mutter. Die Szene, die mich dort erwartet, ertrage ich nicht mehr, es ist zuviel, wir liegen uns weinend in den Armen: Meine Mutter hat starke Schmerzen aufgrund ihrer Gelenksentzündungen an den Händen und im Halswirbelbereich, die Medikamente helfen nicht. Meine Mama, die schon viele Schmerzen tapfer ertragen hat, fleht laut die Gottesmutter an, um ihr zu helfen. Ich bin verzweifelt, spreche mit der zuständigen Fachpflegekraft über Schmerzinfusionen, diese darf allerdings nur die behandelnde Hausärztin verabreichen.
Ich besorge zwei Präparate aus der Naturmedizin, sie sollen zusätzlich helfen. Nach meinen beiden Besuchen bin ich abends erledigt, ich besänftige meinen grollenden Hunger am Chinesenbuffet, meine Gedankenräder drehen sich. Ich will nur noch schlafen!
Gestern, am Mittwochmorgen, schließlich der nächste Anruf eines Mitarbeiters des mobilen Begleitdienstes. Mein Vater ist samt Rollator in der Wohnung gestürzt, konnte mit seinem Notruf allerdings bereits die Rettung alarmieren. Ich spreche via Telefon mit einem Sanitäter, mein Vater ist nicht verletzt, er sei nicht am Kopf gelandet, es sei nicht nötig, ihn mitzunehmen, man würde ihn ja doch wieder nur heimschicken (diese Einschätzung wird mir eine Stunde später, vom nächsten(!) Einsatzteam bestätigt). Ich fahre mit dem Taxi zum Vater, der junge Mann hat ihm noch Gesellschaft geleistet - ich bin so dankbar! Inzwischen sitzt der alte Mann bei seinem Frühstück. Er wirkt klar, spricht schon wieder beißende Kommentare aus. Noch bricht es nicht aus mir heraus, noch kann ich meinen Ärger zurückhalten. Ich weiß ja auch, dass mein Vater Angst hat.
Keine Stunde später erleidet mein Vater den nächsten Schwächeanfall, er bricht im Beisein des Begleiters im Bad zusammen, gemeinsam schleppen wir unter vielen Mühen den sich steif machenden Vater ins Bett. Ich wähle den Notruf. Mein Helfer muss jetzt zum nächsten Einsatz, nun bin ich mit dem Vater allein. Ich bin wildest entschlossen, einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus zu "erzwingen" - es ist pure Verzweiflung, die mich antreibt: Ich packe den Notrucksack, eile immer wieder zum Fenster, ob die Rettung kommt, versorge den Vater mit Essen (er verlangt schon grantig danach, will andauernd aufstehen, weist an, was noch und noch ins Krankenhaus mit muss.) Schließlich ist die Rettung da, ich erkläre, dass er unbedingt ins Krankenhaus muss, das Verständnis des Teamleiters tut mir gut. Wieder sitze ich mit im Einsatzfahrzeug, ich telefoniere, um die mobile Heimbetreuung zu informieren. Vom Krankenhaus, das Aufnahme hätte, werden wir ins nächste verwiesen. Das Personal ist knapp, es dürfen nur nötigste Notfälle aufgenommen werden, man will sehen, wie es im nächsten Krankenhaus vorangeht. Das ist mir recht, dort war der Vater im Vorjahr, nach dem Schlaganfall. Man kennt ihn schon, es gibt auch ein psychologisches Gutachten zu seinem Verhalten. Ich spreche auf den alten Herrn ein, flehe ihn an, mich reden zu lassen, denn ich weiß, dass er sich "zusammenreißen" wird, er wird alles tun, um "normal" zu wirken. Einerseits sucht er geradezu krampfhaft die Aufmerksamkeit von Ärzt*innen, andererseits kann er im Krankenhaus nicht so tun, wie er will. Ich möchte aber unbedingt, dass er aufgenommen wird. Wir müssen Zeit gewinnen, wir brauchen helfende Hände, um ihn in ein Heim zu überstellen, er kann nicht mehr in der Wohnung bleiben (wir Kinder haben das vor zwei Monaten noch anders eingeschätzt ...) Das sieht auch der Arzt so, der das Anamnesegespräch führt. Er durchschaut den alten Herrn rasch und spürt meine Verzweiflung. Der Arzt fragt, ob wir schon einen Heimantrag ausgefüllt haben? Ich erkläre, das ganze sei vorbereitet, aber kompliziert. Warum, möchte der Arzt wissen? Ja, weil der alte Mann nicht einsieht, dass ein Heim kein Hotel ist, dass man das Zimmer sowie das Haus annehmen muss, das angeboten wird (auch, wenn Mann nicht aus drei Menüs wählen kann), dass man auch ein Zimmer mit einem Fenster zur Straße akzeptieren muss, dass es fixe Zeiten für fixe Abläufe gibt, usw.
Der Arzt steht vom Schreibtischsessel auf, setzt sich meinem Vater gegenüber: "Ihre Tochter ist jung und hat ein eigenes Leben! Das ist belastend!" (Ich bin 52, also sooo jung auch wieder nicht ... und ich bin auch nicht bereit, diesen Wahnsinn zu unterstützen!) Ich weiß, das wird meinen Vater nicht beeindrucken, aber mir, mir tun diese Worte des Arztes gut.
Wieder am Gang, wo wir warten, nimmt der Vater Hunger und Durst wahr - die eigenen Befindlichkeiten plagen den Mann gegen 14 Uhr -, dass mein Magen hörbar und ausgedehnt nach einem Frühstück verlangt, überhört er geflissentlich. Er ruft einer Schwester hinterher, er brauche etwas zu trinken. Am besten Kräutertee. Sie eilt davon - er ruft hinterher: "In der Thermoskanne!" Dieser Befehl wird Gott sei Dank nicht erfüllt! Ich schäme mich für diese Person, die neben mir sitzt. Ich fordere meinen Vater auf, den Menschen mit Respekt zu begegnen. Aber woher nimmt er diesen? Er beruft sich immer darauf, keine Erziehung genossen zu haben. Seine Kindheit sei mühsam gewesen. Das war diese schreckliche Zeit doch für alle jungen und alten Menschen, die den Krieg erlebt haben! Aber nicht alle haben so eine Entwicklung genommen, wie ich sie an diesem alten Mann erkenne. Wir haben nichts gemeinsam - zumindest nichts in unserem Verhalten gegenüber anderen Menschen! Darüber bin ich mehr als froh! Er verlangt nach Essen. Er bekommt zwei Scheiben Zwieback. Während er knabbert, bleibt mein Blick an einem stillen, alten, in sich versunkenen Mann hängen, er hat eine Kopfwunde. Ich spüre seinen tiefen Kummer, ich würde ihm so gerne etwas Gutes tun. Da kommt eine Schwester auf ihn zu, spricht leise und gütig auf ihn ein. Ich höre, dass er wohl aus Erschöpfung zusammengebrochen ist. Er musste sich von einem geliebten Menschen verabschieden ...
Mein Vater meckert: "Um zwei Uhr sollten die mir auch eine Suppe anbieten können!" (Eine Suppe hat er noch zuhause, am späten Vormittag, zu sich genommen.) Nun bricht es aus mir heraus, ich versuche, mit ihm möglichst leise zu schimpfen, aber ich bin sehr wütend. Zu viele Jahre, die ich diesen unerträglichen Despoten schon an der Backe habe! Ich finde Worte für mein Entsetzen, die mich alles andere als stolz machen. Ich habe seine Drohungen satt, seine Forderungen, seine krankhafte Art, immer und überall um dienstvolle und ergebene Aufmerksamkeit zu wüten. Ich weiß, dass er schwach, alt und krank ist, darauf habe ich immer Rücksicht genommen. Aber all dieses rechtfertigt seine Art, die ich nie anders kannte, nicht.
Als mein Vater zur CT-Untersuchung gerollt wird, erklärt mir ein Mitarbeiter, wo ich einen Snack, mein Frühstück, zu mir nehmen kann. In dieser Zeit informiere ich auch meinen Schwager, meine Schwester mag ich jetzt gar nicht kontaktieren - abends wird mir sie mir bestätigen, dass meine Entscheidung richtig war.
Danach wieder Warten mit dem Vater. Schließlich öffnet sich die Tür zum Arztzimmer, wir bekommen die erlösende Nachricht, dass er aufgenommen ist. Ich begleite den Vater noch in sein Zimmer, wir warten auf das uns schon längst bekannte Aufnahmeritual, wo Patient*innen nach Unverträglichkeiten und Essensvorlieben gefragt werden. Man kann es sich wohl vorstellen, die Liste wird etwas länger ausfallen ... Manchmal denke ich mir, die menschliche Seele hat viele Tricks auf Lager, um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen!
Als ich mich nach einem kräfteraubenden "Arbeitstag" abends von meinem Vater verabschiede, meint er, sich bedanken zu wollen. Ich antworte, sein größter Dank sei für mich, wenn er die Mitarbeiter*innen mit Respekt behandle.
Mein Blogbeitrag lautet "Empathie und Mitgefühl" und ich glaube daran, dass Teilnahme an Menschen Herzen öffnen kann. Der liebe Gott weiß es, ich habe meinem Vater viel zugehört, ich kenne seinen Blick auf die unglückliche Ehe meiner Eltern und wir hatten gerade in den letzten Jahren auch sehr gute Gespräche miteinander, vor allem, wenn es um politische Themen ging. Da bewies er immer sehr viel Sachverstand und Weitblick. Auch seine finanzielle Großzügigkeit weiß ich zu schätzen, andererseits wurde meiner Mutter nach Streitereien das Haushaltsgeld entzogen. Welch hilflose Bestrafungen!
Ich habe meinen Vater tatsächlich einmal in tiefer Betroffenheit erlebt, anlässlich eines sehr schrecklichen Verkehrsunfalles, an dessen Folgen ein Mensch starb, den er sehr geschätzt hat. Ich habe größtes Verständnis dafür, dass er Schwierigkeiten und viele Ängste auf seinen letzten Metern hat ... Er tut mir manchmal auch sehr leid, vor allem, weil er gar nicht erkennt, warum er keine Freunde hat. Aber ich darf auch Mitgefühl für mich selbst haben!
Die Erlaubnis, für sich selbst und die eigenen Grenzen einzustehen und dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden, die muss man sich schon selbst geben, sonst spielt man das „Spiel“ der anderen mit und gibt sein ok dazu. Das einzusehen, zu akzeptieren und dann in Handlung umzusetzen und sei es „nur“ Nein zu sagen und konsequent danach zu handeln, ist zunächst schwierig. Doch die anderen, in diesem Fall dein Vater, wird dir ein Ok, seinen Segen. nicht geben, wozu auch? Du springst doch.
Ich habe irgendwann einmal akzeptiert, dass ich es nicht schaffe, es meiner Mutter recht zu machen, egal was ich wie tue. Das war der Moment, wo ich mir auch meine Ohnmacht/ Hilflosigkeit eingestanden habe. Gleichzeitig war da…
Den Unterschied, den du zwischen Empathie und Mitgefühl machst, ist mir nicht klar. Deine Situation ist schwierig, ich kenne sie ähnlich von meiner, inzwischen verstorbenen Mutter. Ich habe sehr, sehr lange gebraucht, in ihr die Narzisstin zu sehen, die sie war mit all der Bandbreite ihrer Manipulationen. Und genau das hat dann wiederum mein Mitgefühl angesprochen, da ich ihre innere Not gespürt habe, die aber keiner sehen durfte, nicht einmal sie selbst. Ich habe ihr irgendwann einmal gesagt, ich würde ich helfen, da wo ich kann, sie aber müsse mir schon sagen, was genau sie brauche. Und dazu ist sie bis zum Schluss in der Lage gewesen. Ich hatte nämlich zusätzlich die Rollen, herausfinden zu müssen, was sie wollte. Und…
Wahrlich eine Odyssee, die Du hinter Dir hast, liebe C! Hoffentlich die letzte dieser Art. Obwohl - Deinen Vater ins Heim zu begleiten, wird Dir auch noch einiges abverlangen. Leider wirst Du den Menschen nicht mehr ändern können, aber ihm ab und an, sozusagen die Stirn zu bieten - ist richtig. Vielleicht bremst das ihn ein wenig.
Ich kann Dir nur bei alldem viel Kraft wünschen und dass Du erst einmal zur Ruhe kommst und Dich erholst.
Herzliche Grüße
Rosa
Das muss eine unglaublich schwere und belastende Zeit für dich sein.
Ich bewundere deine Energie und deinen vollen Einsatz. Mute dir aber nicht zu viel zu!
Beste Wünsche und liebe Grüsse,
Brigitte
liebe c stern, ich bin sehr froh darüber, dass du bei allem mitgefühl nicht den blick auf dich selbst vergißt und das mitgefühl für dich. diesen egoismus alter, kranker menschen, wohl auch aus hilflosigkeit und angst, darf die helfenden nicht lähmen. so viele jahre hatte ich das erlebt, ehe ich den mut hatte, für mich einzustehen. auch alte menschen müssen leider noch lernen, wie wir alle. und vielleicht klappt es ja mal mit dem angemessenen verhalten. ich wünsche dir kraft, herzlichen gruß, roswitha