Vor einigen Tagen war ich mit dem Vater in seiner Hausarztpraxis. Ziel des Besuches war, einen Antrag auf Aufnahme in ein Seniorenwohnhaus ausfüllen und unterfertigen zu lassen. Die Einschätzung des Vaters, in so einem Haus in einem Zimmer wohnen zu wollen, ist eine schwankende. Wenn er bessere Tage hat, dann ist er zuversichtlicher und wünscht sich den Tag X noch weit hinausgeschoben. Er hat Sorge, seine persönliche Freiheit doch in einigen, sicherlich entscheidenden Bereichen einschränken zu müssen.
Meine Sichtweise: Der alte Mann war nie stark darin, Rücksicht auf andere zu nehmen. Immer schon war sein "erwachsenes" EGO groß (... vermutlich, weil der kleine Bub wenig Gehör beim eigenen Vater fand ...), im Rückblick wird mir das noch deutlicher. Und genau dieses EGO tritt gerade in den letzten Jahren immer schärfer ans Tageslicht. Der Mann hat in seinem langen Leben gelernt, sich auf viele, auch sehr unangenehme Weisen Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Oft such(t)e ich nach seinen inneren Schätzen und meine, vor Jahren noch darauf gestoßen zu sein. Der Vater hat sich immer sehr für Politik interessiert und hatte darüber auch einen solchen Weitblick und Scharfsinn entwickelt, dass ich ihn dafür durchaus bewundern konnte.
Nur äußerst selten beobachten konnte ich an ihm, was als "soziale" Fähigkeiten verbucht werden könnte: Den Vater habe ich oft als sadistischen Tyrannen erlebt, der nie erwachsen geworden ist in dem Sinne, liebevolle Verantwortung für Kinder übernehmen zu können. Meine Erinnerungen reichen weit zurück. Die Eheprobleme der Eltern waren schwerwiegende und darüber haben wir Kinder als Jugendliche und Erwachsene oft auch unterschiedliche Ansichten entwickelt. Dennoch war es mir - vor Jahren - wichtig, auch einmal die Sicht des Vaters zu hören. Familiär gesehen geriet ich mit meinem Willen, verstehen zu wollen, wie es zu all diesen Auseinandersetzungen kam, eher ins Abseits. Misstrauen und Unverständnis darüber schlugen mir entgegen, manchmal flammen sie auch heute noch auf.
An Tagen, an denen sich der Vater sehr schwach fühlt, meint er, sofort in ein Seniorenwohnhaus einziehen zu müssen. Alle Bedenken sind dann großzügig zur Seite gewischt.
Wer uns Kinder fragt, wird dahingehend Einigkeit hören, dass der Vater insgesamt in seinen eigenen vier Wänden immer noch am besten aufgehoben ist. Er hat einen Notruf am Handgelenk, mit dem er im Ernstfall sofort mit Sanitäter*innen verbunden ist. Zweimal täglich kommen Mitarbeiter*innen der mobilen Seniorenbetreuung ins Haus, auch für die Reinigung seiner Wäsche und Wohnräume ist zuverlässig gesorgt. Sein Mittagsmenü erhält er ebenfalls geliefert, für seine außergewöhnlich kritische Einschätzung der Speisen kann man niemanden verantwortlich machen. Der Mann ist in den Kriegsjahren aufgewachsen, ich dachte immer, diese Menschen hätten allgemein größeren Respekt vor Nahrungsmitteln. Dies ist also nicht immer der Fall, das habe ich im Laufe der letzten Jahre besonders intensiv beobachtet: Der Vater hat sehr eigenwillige Vorstellungen von seinen Mahlzeiten. Regelmäßig landen Komponenten seiner Mittagsmenüs, sehr zu meiner Betroffenheit, in der grünen Tonne. Er beruft sich auf sein feines Innenleben, behauptet, vieles nicht zu vertragen. Für Tage, an denen er sich auf dem Speiseplan überhaupt nicht zurechtfindet, gibt es Essen, das er in der Mikrowelle erwärmen kann.
Der alte Herr hat auch sehr eigene Ideen darüber, was seine Nachtruhe betrifft, der Fernseher gibt ziemlich laute Töne von sich, auch am späten Abend - in einer großen Wohnung möglicherweise nicht ganz so störend wie in einem Seniorenwohnhaus, in dem Schlafzimmer an Schlafzimmer gereiht sind.
Ich habe mich vorige Woche also informiert, ob sich der Vater einmal, so, wie er es wünscht, in diesem Seniorenwohnhaus zu einem bestimmten Termin orientieren kann. Derzeit ist es nicht möglich, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, denn wieder einmal gilt es, aufgrund von Corona-Fällen besondere Vorsicht walten zu lassen. Gleichzeitig habe ich meine Zweifel, ob der Vater tatsächlich aus 3 Mittagsmenüs wählen kann, wie dies im informativen Folder des Wohnhauses für Senioren beschrieben wird. Meine Einschätzung ist wohl richtig, wie sich in meinem Telefonat mit der zuständigen Mitarbeiterin herausstellt: Derzeit können nämlich trotz leerstehender Zimmer keine Bewohner*innen aufgenommen werden, obwohl die Warteliste so lang ist wie niemals zuvor: Es fehlt das Pflegepersonal!
Einen Satz aus diesem Telefonat habe ich in großen Buchstaben festgehalten: "EIN HEIM IST KEIN HOTEL." Ich kann dieser Aussage nur zu hundert Prozent zustimmen!
Und außerdem heißt es sowieso: Bitte warten!
#Leben #Familie #Kommunikation #Kinder Foto: Pixabay, Gerd Altmann
Das stimmt, liebe Rosa,
wenn wir uns ständig darum kümmern würden, was "andere" über unsere Entscheidungen denken und sagen, dann sind wir sehr unfrei in unseren Entscheidungen. Am Ende hätten wir unser Leben mit den Vorstellungen der anderen gelebt ...
Nicht nur Wien ist eine tolle Stadt - es gibt auch für mich noch soviel zu entdecken in meiner eigenen Heimat: Vor allem der Westen Österreichs ist mir noch sehr unbekannt, Stw. Vorarlberg.
Wenn Ihr nach Wien reist, dann kann ich auch dieses prachtvolle Fleckchen vor den Toren Wiens nur empfehlen. Ein wahrer Traum, in vielerlei Hinsicht :-)
Und wir würden uns sehr freuen, Euch zu treffen, ob nun in Wien oder anderswo - das darf ich an dieser Stelle…
Deinem Vater, liebe C Stern, wird es sicher nicht leicht fallen, ins Heim zu gehen. Eines Tages wird er es wahrscheinlich doch müssen. Das ist auch für die Familie keine leichte Entscheidung.
Meine Schwester – sie wird im Februar 80 und wohnt in Dortmund – hat sich selbst auf die Warteliste setzen lassen, sogar in Berlin, wo ihr ältester Sohn wohnt. Sie hadert immer wieder mit sich selbst – soll ich oder doch lieber nicht? Gesundheitlich geht es ihr nicht gut, sie leidet unter starker Depression und einigen anderen Krankheiten, kann schlecht laufen, besonders die Treppen hochsteigen in ihr 2. Obergeschoss. Und doch zweifelt sie und ich kann sie verstehen …
Aber gut ist, dass es hier (und in Österreich)…