
Vor zwei Tagen hatte mein Vater einen Termin im Krankenhaus, just an seinem Geburtstag. Mein Gefühl war, ihn dabei besser zu begleiten - wie gut, dass ich mich auf meine Intuition verlassen habe.
Mein Vater lässt es sich nämlich nicht nehmen, er hat immer allerlei in seinen Jackentaschen eingesteckt, allein hier braucht es Organisation, damit er nach seinen Arztterminen wieder mit allen Utensilien zuhause ankommt.
Doch der Reihe nach: Vor einigen Wochen wurde vom Zahnarzt festgestellt, dass drei Zähne gezogen werden sollten, da mein Vater Schmerzen hatte. Das verabreichte Antibiotikum stellte sicher, dass die vorhandene Entzündung zum Abklingen gebracht werden konnte. Da mein Vater nach der Einnahme des Medikamentes keinerlei Schmerzen mehr hatte, hatte ich die leise Hoffnung, dass ihm seine Zähne erhalten blieben. Das wollte ich abklären. Ich war gewillt, ihn bestmöglich zu unterstützen, ich machte mich pünktlich auf den Weg und bei ihm angelangt, begann das lange Warten auf die Einsatzkräfte, mit denen wir ins Spital fahren sollten. Endlich dort angekommen, ahnte ich schon so einiges, da der Wartebereich voller Menschen war. Aus Gesprächen mit zwei Patienten erfuhren wir, dass diese bereits über fünf Stunden im Wartebereich saßen.
Ich war dankbar, dass mein Vater ausgeglichen war und keinen großen Stress in Hinblick auf die Wartezeit entwickelte. Wir waren beide nicht darauf eingestellt, dass es dann doch zur Extraktion kommen sollte.
In der Wartezeit bekam ich schon mit, dass ein Mann mit seiner Mutter ebenfalls schon sehr lange warten musste. Nach seinen Worten hatte er drei Stunden eingeplant, er musste seine Mutter nach dieser Zeit in die Obhut der Mitarbeiter*innen übergeben, denn die alte Dame konnte nicht alleingelassen werden. Ihr Verhalten erinnerte mich an das Verhalten meiner Mutter, mir war sofort klar, dass die Dame verwirrt war.
Endlich war mein Vater an der Reihe. Ich durfte mit in die Behandlungskoje, wo sich rasch entgegen unseren Hoffnungen herausstellte, dass es den drei markierten Zähnen tatsächlich an den Kragen gehen sollte. Mein Vater haderte mit seiner Entscheidung, doch nach einigem Hin und Her wurde er überzeugt, dass diese Lösung insgesamt die vernünftigere wäre. Schon bekam er eine Spritze, um den Eingriff möglichst schmerzfrei zu überstehen.
Während auf die Wirkung der Spritze gewartet wurde, hatte ich die nette verwirrte Dame im Auge, die immer wieder Anstalten machte, ihren Rollstuhl zu verlassen. Als sich die Zahnärztin bei meinem Vater ans Werk machte, hörte ich ihn wehklagen, offensichtlich war die Wirksamkeit der Spritze noch nicht vollends gegeben.
Ich ertrage es nicht, wenn alte Menschen Schmerzen haben. Sofort schossen mir Tränen in die Augen und ich war erleichtert, als ich hörte, dass noch ein Schmerzmittel nachgespritzt wurde. Um mich abzulenken, beschloss ich, mich um die liebenswürdige alte Frau zu kümmern. Die Mitarbeiterin, die immer wieder einen Blick auf die Frau hatte, war freudig überrascht, als sie feststellte, dass ich die Patientin mit meiner Aufmerksamkeit umsorgte. Die alte Dame nestelte nervös an ihrem Täschchen herum und beruhigte sich erst, als ich ihr mit leisen Worten immer wieder zu verstehen gab, dass alles in Ordnung sei. "Sie können sich ganz entspannen, es ist für alles gesorgt." Sie konnte sich nicht vorstellen, wer sie nachhause bringen sollte, immer wieder wollte sie von mir wissen, ob ich denn bei ihr übernachten könnte. Ich gab ihr zu verstehen, dass sie "von jungen Burschen" abgeholt werden würde, die sie nachhause bringen würden. Diese Vorstellung behagte ihr wohl, sie lächelte mich an. Meine Erklärung hielt dennoch nicht lange an, wiederholt fragte sie besorgt nach, ich kenne das von meiner Mutter. Ich strich ihr beruhigend über ihre Hände, legte ihr meine warme Hand auf den Rücken, all diese Aufmerksamkeiten genoss sie sehr. Sie erzählte von ihrem Sohn und von ihrem Mann, der ihr offensichtlich kein guter Gefährte war. Auch in diesem Punkt erinnerte sie mich an meine Mama, die solche Geschichten auch immer wieder erzählt.
Die Mitarbeiterinnen der Abteilung warfen immer wieder einen erfreuten und dankbaren Blick zu uns, denn die alte Dame musste tatsächlich während ihres gesamten Aufenthaltes betreut werden. Mehrfach machte sie nervöse Anstalten, sich aus ihrem Sessel zu erheben. Doch es gelang mir jedes Mal, sie zuversichtlich zu stimmen.
Schließlich hatte mein Vater seinen Aufenthalt in der Behandlungskoje endlich überstanden, die Sanitäter waren bereits angekommen, wir mussten nicht auf die Rückfahrt warten. Ich verabschiedete mich von der alten Frau - ich hoffe, sie ist auch gut in ihrem Zuhause angekommen.
Mein Vater hat wahrlich einen aufregenden Geburtstag erlebt, jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die Wunden mit Unterstützung der Medikamente gut verheilen und keine Komplikationen auftreten.

Foto: C* - die Schindta-Burg in Mauthausen, Oberösterreich
Das Haus wurde 1973 von einem Zahnarzt erworben und neu gestaltet. Der Name "Schindta-Burg" soll den Patienten auf humorvolle Art und Weise auf eventuelle Schmerzen bei der Zahnbehandlung hinweisen.
Tja, die Wartezeiten bei den Ärzten sind in Österreich wohl auch nicht kürzer als in Deutschland, oder sogar noch länger. Da muss man viel Geduld und Ausdauer haben. Ich finde es großartig und bemerkenswert, wie Du Dich nicht nur um Deinen Vater, sondern auch um die alte Dame gekümmert hast. Das macht bei weitem nicht jeder.
Liebe Grüße
Rosa
Du meine Güte, so einen unerfreulichen Tag wünscht man niemandem und der Tochter schon gar nicht. Aber dein Einsatz für den Vater (am Geburtstag!) und die verwirrte Frau im Wartezimmer war beispiellos und nötigt mir den grössten Respekt ab.
Ich hoffe, es geht nun wieder etwas ruhiger und weniger dramatisch bei euch weiter.
Einen lieben Gruss ins Wochenende,
Brigitte