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Die Unerschrockene




Ängste hat die Unerschrockene mit Sicherheit viele in ihrem Leben ausgestanden.

Das Aufstehen war stets sehr mühsam, aber es ist auch immer gelungen. In der Rückschau kann ich das jedenfalls so einordnen.

Die Unerschrockene war, das erkenne ich heute, in vielen ihrer dunkelsten Momenten sehr allein, völlig auf sich gestellt. In solchen Lebensphasen hat sie Briefe an die Mutter verfasst, diese auch zur Post gebracht. Ihre Schmerzen, Sorgen und Nöte mitgeteilt, einer Frau, die räumlich entfernt war. Nicht unendlich weit, aber weit genug. Vermutlich war die Mutter für die Unerschrockene nicht nur räumlich entfernt, sondern auch emotional nur schwer fassbar. Diese Distanz habe ich schon als Jugendliche gespürt. Ja, es gab damals Freundinnen. Frauen, mit denen Gespräche erfolgten, wie tief diese gegangen sind, das kann ich nicht ermessen. Von diesen Frauen ist heute keine mehr präsent. Schon lange nicht mehr.

Wenn tiefe Ängste sich an die Herzenspforte geklammert und an der Seele genagt haben, gab es - da bin ich sicher - sehnsuchtsvolle Gedanken der Unerschrockenen an den Vater. Der Vater war längst nicht mehr da und wurde schmerzlich vermisst. Und ich glaube, auch das flehentliche Gebet war mitunter Ausdruck tiefster Verzweiflung. Die Gottesmutter hatte und hat eine Bedeutung, davon bin ich überzeugt.


Vieles, das ich heute begreife, habe ich als Kind und Jugendliche, als junge Frau noch nicht fassen können. Zu tief war einst der Graben, den mein früher Trotz ausgehoben hatte. Zu verletzt meine Gefühle, nicht genug geliebt, gesehen worden zu sein. Nicht selten wohl auch hartes Unverständnis meinerseits, weil ich in der Einordnung meines familiären Systems nicht auf die Lebenserfahrungen blicken konnte, auf die ich nun, einige Jahrzehnte später, zugreifen kann.

Sehr, sehr tapfer war und ist sie, meine Mutter, so oft habe ich sie körperlich und seelisch heftig leidend gesehen. Einige schwere Operationen hat sie überstehen müssen, in größter innerer Einsamkeit. Kein Partner an ihrer Seite, der sie liebe- und verständnisvoll, tröstend aufgefangen hätte. Das pure Gegenteil war der Fall - unverschämte Forderungen an eine Frau, die in diesen notvollen Zeiten ohnehin völlig (und verständlicherweise!) aus dem Gleichgewicht geraten war. Uns Kinder wusste sie durch ihre Tante oder durch eine Mitarbeiterin der Caritas gut und liebevoll versorgt, aber ihren tiefen Kummer musste sie jedes Mal in all den Krankenbetten und in den Wartezonen allein tragen.


Seit einigen Jahren begleite ich meine Mutter in die Wartezonen der Krankenhäuser und zu Ärzt*innen. Nicht nur, weil ich es so möchte, sondern weil es notwendig ist. Wenn ihre Hände und ihre Stimme über die ungewohnte Umgebung ängstlich zittern, dann bin ich da. Ich weiß längst aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, in solchen bangen Stunden einen vertrauten Menschen an der Seite zu haben.

Um meine Mutter verstehen zu können, ist es wichtig, zu begreifen, wie bedeutsam ihr geliebter Beruf für sie war. Dieser bot ihr die Gelegenheit, sich gesehen, verstanden und geschätzt zu fühlen.

Ich weiß, ich kann Vergangenes nicht mehr ändern, aber ich bin nun in der Lage, meine Liebe und Wertschätzung ungehindert fließen zu lassen. Ich hoffe, nur darauf kommt es an.


Foto: C*, Albertina, April 2019, zum Titel des Bildes und zur Künstlerin(?), zum Künstler(?) kann ich leider keine Angaben machen -> Mit meinem besten Dank 🙏 an Traude Rostrose, aufgrund ihrer Recherche kann ich nun Titel und Künstler nennen: Das Bild ist Teil des zweiteiligen Bildes Joanna & Larry from Men in the Cities, 1983, der Künstler ist Robert Longo.

14 Kommentare

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14 Comments


Rosa Ananitschev
Rosa Ananitschev
Jan 13

Liebe C Stern,

Deine Worte gehen mir sehr nahe, denn sie haben etwas gemein mit meiner Kindheit, meiner Mutter und meinen Gefühlen - damals sowie auch heute. Ich denke, Du verstehst, warum. Schön, dass Deine Mutter noch da ist und Du ihr helfen und beistehen kannst.

Herzliche Grüße

Rosa

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C*
C*
Jan 13
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Liebe Rosa,

ich verstehe Dich sehr gut! Die Liebe einer Mutter, ein Kind muss sie spüren können. Und unter Geschwistern kann diese Einschätzung sehr unterschiedlich ausfallen - auch das ist mir sehr bekannt.

Ich lese gerade ein Fachbuch, Die Erschöpfung der Frauen - Wider die weibliche Verfügbarkeit, Franziska Schutzbach. Trotz aller Bestrebungen zur Gleichberechtigung, wenn man genau hinsieht, hat sich noch viel zu wenig getan. Viele Frauen sind auch heute noch nicht frei, zu tun, wovon sie träumen.

Ganz liebe Grüße zu Dir, habt ein schönes Wochenende! C Stern

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Traude Rostrose
Traude Rostrose
Jan 13

Liebe C*,

gleich mal zu Beginn: Das Bild ist Teil eines Diptychons namens "Joanna & Larry from Men in the Cities" (1983), der Künstler heißt Robert Longo. https://www.artsy.net/artwork/robert-longo-joanna-and-larry-from-men-in-the-cities

Und bevor du jetzt glaubst, ich bin die große Kunstkennerin: Nein, ich habe das Bild mit Google Lens gesucht, die App verwende ich normalerweise z.B. für Tier- und Pflanzenbestimmungen 😉

Was deine unerschrockene Mutter betrifft - ich denke, sie hätte einen Mann wie deinen Vater wohl kaum ertragen bzw. "behalten", wäre da nicht schon eine Kindheit gewesen, in der sie offenbar auf sich allein gestellt gewesen ist, zumindest in emotionaler Hinsicht. Sie hat es wohl gelernt, sich alles mit sich selbst auszumachen, auch das Hinfallen und Wiederaufstehen und vielleicht auch das Weghören…

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C*
C*
Jan 13
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Liebe Traude,

vielen, vielen Dank für Deine Detektivarbeit, ich selbst kenne diese App nicht - wow! Jetzt kann ich eine Angabe zum Künstler und zum Bildtitel machen, das freut mich sehr! Heute würde mir das nicht mehr passieren, wo es Infos zu Bildern gibt, werden diese von mir auch aufgenommen :-)

Über den Künstler habe ich jetzt auch einiges in Erfahrung gebracht, ebenso über seinen Zyklus Men in the Cities, der offensichtlich zu den wichtigsten Schöpfungen der zeitgenössischen Zeichnungskunst gehört. Verheiratet ist er übrigens mit Barbara Sukowa, die ich für ihre Darstellungen in wichtigen Filmen sehr schätze. Und eine Stimme hat diese Frau ...

Ich glaube, dass meine Mutter in der Kindheit Entbehrungen erlitten hat, ja! Diese Kriegszeit, die Abwesenheit…

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petra ulbrich
petra ulbrich
Jan 13

Mit der Mutter aussöhnen! Ich habe ihr verziehen. Sie war ein Kind ihrer Zeit und hat so gehandelt, wie sie handeln konnte. Es war nicht immer gut. Diese Frauen, die im Krieg Kinder waren, hatten keine Wahl, sie mussten überleben - ob sie wollten oder nicht.

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C*
C*
Jan 13
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Verzeihen ist für viele Menschen wichtig - so auch meine Erfahrung. Ich glaube, zuvor muss jedenfalls das Nachvollziehenkönnen kommen. Das Verstehen, warum jemand gehandelt hat, wie er es tat.

Auf diese Weise ist es auch möglich, Väter zu sehen - wie sie zu den Menschen wurden, die auf uns eingewirkt haben.

Was ich allerdings nicht verstehe und auch nicht schätze, das sind Versäumnisse, wo man an sich hätte arbeiten können. Allerdings manchmal schwer einschätzbar, wo diese Arbeit möglich gewesen wäre und wo nicht: Dazu braucht es auch einen offenen Geist, so zumindest meine Erfahrung.

Ganz liebe Grüße zu Dir! C Stern

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Kleiner Staudengarten
Kleiner Staudengarten
Jan 13

Ein berührender Post und wie wunderbar, dass du deine Mutter und ihr Verhalten nun im Abstand von Jahren und Jahrzehnten anders betrachtest und sie verstehen kannst. So geht es uns allen ja oft im Rückblick unserer Lebensgeschichte und im Begreifen und Nachvollziehen vieler Situationen. Auch deine liebevolle Unterstützung ist sicher für beide Seiten sehr bereichernd.

Alles Liebe für eure gemeinsame Zeit - lieben Gruß von Marita

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C*
C*
Jan 13
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Ich danke Dir für Deine liebe Rückmeldung und Deine Wünsche!

Ganz sicherlich ist es von großer Bedeutung, die Dinge der Vergangenheit mit Abstand zu betrachten, eine Erfahrung, die viele machen und auch brauchen. Auf diese Weise setzt sich ein Puzzle wohl oft "runder" zusammen.

Ganz liebe Grüße zu Dir! C Stern


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stemmer.recklinghausen
stemmer.recklinghausen
Jan 13

Auch ich habe das Aushalten gelernt. Doch sehr oft konnte ich mir das "Warum" nicht ehrlich beantworten. Wenn dann auch noch ungerechtfertigte Schuldzuweisungen hinzukamen, wurde es sehr eng in mir. Und irgendwann habe ich dann die Notbremse gezogen. Es hat lange gedauert, bis ich mir meinen eigenen Weg zugestehen konnte. Erst spät, durch viele Lektüren über die Kriegsgenerationen, habe ich so etwas wie Verständnis für die Eltern, besonders für die Mutter entwickeln können. Ihre Schuldvorwürfe an mich aber habe ich an sie zurückgegeben. Dafür übernehme ich nicht weiter Verantwortung. Da sie an einigen Stellen schon die Freiheit gehabt hätte, anders zu entscheiden, aber die damit verbundenen Konsequenzen nicht ziehen wollte oder konnte. Dafür tragen nicht wir als Kinder nicht die…

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C*
C*
Jan 13
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Ich danke Dir sehr für Deine Offenheit!

Diese Enge, wie Du sie beschreibst, diese kenne ich genau so in mir: Schuldzuweisungen habe ich ebenfalls als zutiefst verletzend erlebt. Ich wusste auch, dass ich ein unerwünschtes Kind war, schuldiggemacht dafür, dass meine Mutter als Frau in die Abhängigkeit des Mannes geriet. Doch da hatte meine Mutter ihre Wahl des Mannes doch schon längst getroffen! Ihre Träume waren völlig andere. Dass sie diese nie realisieren "konnte", hat sie ihr Leben lang beschäftigt.

Meine Mutter sah Entscheidungsfreiheiten nicht als gegeben. Sicherlich konnte sie auch in vielen Phasen ihres Lebens nicht mehr klar abwägen. Da ist ganz viel Gehirnwäsche passiert!

Wofür Kinder keinesfalls Verantwortung tragen, ist, wenn Eltern nicht erwachsen werden. Im Falle meiner…

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