Leben mit Demenz - kann es ein glückliches Leben sein?
Diese Frage begleitet mich nun seit einigen Jahren. Vor mittlerweile sechs Jahren habe ich begonnen, stetig, Stück für Stück, Veränderungen an meiner Mutter wahrzunehmen. Damals ahnte ich jedoch noch nicht, dass es nur wenige Jahre später tatsächlich eine Demenz-Diagnose sein würde, die unser Leben verändern sollte.
Die letzten Jahre waren für uns als Familie eine sehr emotionale Zeit, geprägt von vielen Gefühlsausbrüchen - auf Seiten aller Familienmitglieder.
Meine Mutter fand in ihrer Verzweiflung und Wut über die Veränderungen, die sie mit großer Panik an sich selbst wahrnehmen konnte, keinerlei Unterstützung bei ihrem Mann, unserem Vater. Die Diagnose wollte Mama natürlich weit wegschieben, sie akzeptierte das Wort "Demenz" auch nur in Anwesenheit eines Arztes. Niemand anderer durfte dieses mit so vielen Schrecken verbundene Wort in den Mund nehmen. Wutanfälle und Leugnen standen an der Tagesordnung, das Zusammenwohnen mit unserem Vater wurde für meine Mutter zur absoluten Tortur: Mein Vater setzte seinem lebenslangen Selbstmitleid wie üblich nichts Positives entgegen. Hilfe war er für meine Mutter leider zu keinem Zeitpunkt, was zu vielen Konflikten zwischen unseren Eltern führte. Und wir Kinder waren oft der Verzweiflung nahe, weil unser Vater sämtliche Tipps, die er von Seiten eines professionellen Angehörigenberaters bekam, ignorierte.
Wir Kinder mussten handeln ...
Seit einigen Monaten lebt meine Mutter nun in einem Seniorenhaus. Sie lebt in einer Gemeinschaft, in der es die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bestens verstehen, den Senioren und Seniorinnen jene Wertschätzung entgegenzubringen, welche diese alten Menschen einerseits in größtmöglicher Freiheit agieren lässt und ihnen andererseits all jene Hilfe und Pflege gewährt, die sie - ganz individuell auf jeden Menschen abgestimmt - brauchen. Es ist essenziell, diese Menschen bedürfnisorientiert zu begleiten, damit sie bestmöglich aktiv am Leben teilnehmen können.
Jedes Mal, wenn ich Mama besuche und sie bei Aktivitäten und im Zusammensein mit ihren Mitbewohnern erlebe, erfreue ich mich an ihrer Fröhlichkeit, Offenheit und Zugewandtheit zu den Menschen. Sie hat Kontakte geknüpft, beteiligt sich mit Begeisterung an musikalischen Aktivitäten und schlüpft manchmal in die Rolle der Ratgebenden. Sie agiert auch in ihrer einst so geliebten Tätigkeit als Krankenschwester - und dann streichelt sie hingebungsvoll die Hände ihres Nachbarn oder stellt fest, dass eine andere Nachbarin gerade ein bisschen blass aussehe, diese müsse etwas für ihre gesunde Hautfarbe tun! Dass ihre Nachbarin von der Sonne ohnehin ausgiebig bestrahlt wurde, das nimmt Mama nicht wahr, doch es rührt mich tief, wie sehr sie ihre Umwelt wieder beachtet.
Meine Mutter kann sich an vieles aus ihrer Vergangenheit nicht mehr erinnern - und es ist nicht nur ihr Kurzzeitgedächtnis massivst angegriffen, es entschwinden ihr auch immer mehr Erinnerungen aus der länger zurückliegenden Vergangenheit.
Wo sie sich als jüngere Frau geärgert hat, wenn ihrem Gedächtnis eine Begebenheit entglitten war, wird sie nun zu einem Menschen, der das Glück des Augenblicks lebt.
Diese Augenblicke lassen sich nicht mehr für später konservieren. Was zählt, ist die reine Gegenwart, das pure "Jetzt". Ein kindliches Gemüt, das noch nicht in die Zukunft plant, blitzt aus ihren Augen. Jedes Schmunzeln, jedes Kichern und jedes Lächeln auf Mamas Gesicht zeigen mir, dass die von uns Kindern lange geprüfte Entscheidung, für ein neues und würdevolles Leben in einem Seniorenhaus zu sorgen, die richtige war.
Mit meiner Mutter verbindet mich heute sehr viel Liebe und auch Zuwendung. Das war nicht immer so ... Vom Dasein einer mütterlichen Tochter erzähle ich in diesem Beitrag.
Wenn Eltern alt werden, dann hat dies auch mitunter massive Auswirkungen auf den Alltag ihrer Kinder. Für meine Mutter ist gut gesorgt, sie ist gut aufgehoben in ihrem neuen Leben. Dennoch wird mein Alltag weiterhin von vielen Erledigungen stark eingenommen: Die Organisation vieler Bereiche wie Haushaltshilfe und Essen für meinen Vater, Arztbesuche, Pflegetermine und der Einkauf von Kleidung sowie technischen Hilfsmitteln usw. erfordern einen großen zeitlichen Aufwand und viel Energie. Auch die Kommunikation mit alten Menschen kann zu einer Herausforderung werden, die sehr anstrengt.
Ich wünsche meiner Mutter noch viele, viele so kostbare Augenblicke mit ihren Freunden, die sie glücklich machen.
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