Wo kommst du denn her? Was machst du hier? - Ich besuche dich, Mama. - Das ist aber gerade ungünstig.
Meine Mutter heißt mich nicht gerade willkommen, wenn ich sie in ihrem Seniorenwohnhaus besuche. Nicht unbedingt einladend, ihre Worte, aber ich kenne diese schon, sie wiederholen sich nämlich.
Ungünstig findet meine Mutter meine Besuche vermutlich auch deshalb, weil sie so gerne in ihrem bequemen Sessel sitzt. Da streichelt sie dann die Hände ihres Nachbarn, den sie zeitweilig für ihren Ehemann hält, und der recht zufrieden in seinem Schlafsessel wirkt. Und auch Mamas Nachbarin erhält Streicheleinheiten. Die alte Frau jammert und weint häufig, sie ist sehr verwirrt und möchte heim zu ihren Eltern.
Wer jammert oder weint, der tut meiner Mutter leid. Wenn allerdings eine bestimmte alte Dame wie ein Feldwebel herumschreit, fühlt sich meine Mutter sichtlich unwohl. Die feldwebelige Dame hat früher einmal ihre Angestellten herumgescheucht, heute macht sie das mit den Mitarbeiter*innen des Wohnhauses. Da müssen dann alle dran glauben.
Nur einmal habe ich diese unfeine Dame zufrieden erlebt: Das war vor einigen Monaten, als das Begräbnis von Richard Lugner im Fernsehen übertragen wurde. Da saßen die alten Herrschaften in Reih und Glied und staunten in den Fernseher. Die Feldwebeldame schlürfte zufrieden ihre Erdbeermilch, die sie gerade erhalten hatte, als sie plötzlich den Namen des Herrn Lugner am Bildschirm eingeblendet sah. Da rief sie laut und voller Inbrunst aus: DANKE für diese Erdbeermilch, Richard Lugner.
Scharf beobachtet
Gestern war ich mit meiner Mama im Krankenhaus zur Nachsorgeuntersuchung nach ihrer Hautkrebserkrankung. Die Untersuchung findet halbjährlich statt.
Es wird aufgrund ihrer körperlichen Schmerzen immer mühsamer, diesen Weg auf uns zu nehmen. Inzwischen benützt meine Mutter einen Rollator, da sie große Hüftschmerzen hat. Eine Hüft-OP ist aufgrund der sehr fortgeschrittenen Demenz keine Option mehr, weil die alte Dame beim Heilungsverlauf vieles beachten müsste, was ihr allerdings nicht mehr zumutbar ist.
So kann es passieren, dass Mama zu Terminen gar nicht mitkommen möchte; ich weiß nie, in welcher Stimmung ich sie antreffe. Für diese Untersuchung war im Vorfeld die Gabe einer Beruhigungstablette vereinbart, deren Wirkung sofort ersichtlich ist: Mama ist nicht auf Krawall gebürstet, als ich sie abhole, sie leistet keinen Widerstand. Es entschlüpft ihr kein Wort, das zweifelsfrei der Abteilung für unflätige Worte zugeordnet werden könnte.
Auch die kurze Taxifahrt verläuft ohne Komplikationen, diesmal zeigt meine Mutter auch keine Angst vor der Autofahrt. Im Krankenhaus muss ich uns anmelden, den Weg in die Koje erspare ich meiner Mutter, sie soll so wenig wie möglich ihren Rollstuhl verlassen. Nach den Anmeldeformalitäten machen wir uns auf den Weg in die Hautabteilung, Mama fragt mich immer wieder, wie weit sie denn noch gehen müsse. Mama, du sitzt im Rollstuhl, du musst diesen Weg nicht zu Fuß gehen, antworte ich. Nun ist sie zufrieden und beobachtet genau, wohin wir fahren. Schließlich landen wir nach einigem Kreuz & Quer in der Ambulanz. Ich hoffe, dass wir nicht lange warten müssen. Da Mama bequem sitzt und gerade keine Schmerzen hat, nimmt sie lächelnd Kontakt mit ihrer Umgebung auf. Sie liest mir vor, was sie an Wänden und Plakaten ablesen kann, außerdem beäugt sie neugierig alle anderen Menschen in der Wartezone. Auf einmal flüstert sie mir zu: Weißt eh, die Frau hinter dir schaut ihren Mann ganz stürmisch an. Wie schade, dass ich das nicht selbst gesehen habe! Ich wüsste zu gern, wie so ein stürmischer Blick aussieht.
Nun bin ich ganz entspannt, weil Mama so gut gelaunt ist. Sie gibt sich mit Genuss meiner Kopfmassage hin, dabei schließt sie ihre Augen - und ich bin dankbar, dass mein Stoßgebet für einen guten Verlauf erhört wurde. Da passt es auch sehr gut, dass wir rasch an der Reihe sind; die Untersuchung verläuft ebenfalls gut, wie immer erfahren wir sehr viel Unterstützung und Wertschätzung. Schnell noch ein kleiner Stich, auch die Blutabnahme ist sofort erfolgreich.
Und schon können wir uns auf den Weg zurück ins Seniorenwohnhaus machen, wo Mama bereits freudig erwartet wird. Nun bin ich nicht mehr interessant für meine Mutter, sie findet ihre ganz eigenen Worte zum Abschied: Auf Wiedersehen & Goodbye. Amen.
Die Zeit,
die mir noch bleibt mit meiner Mutter, diese möchte ich noch genießen können. Es tut sehr weh, sie so leidend zu sehen. Ich weiß, dass sie intensiv medikamentös unterstützt wird, aber ich kenne auch die Nebenwirkungen der unterschiedlichen Schmerzmittel.
Es war häufig nicht leicht zwischen uns und viele wütenden Aussagen meiner Mutter haben mich oft auch tief geschmerzt und lange beschäftigt. Umgekehrt habe ich meine Mutter auch nicht geschont, gerade in meiner Jugend habe ich mich sehr wortreich zur Wehr gesetzt.
Ich habe gegenwärtig nicht das Gefühl, etwas verdrängt zu haben und glaube auch gar nicht, dass das gut ist. Ich spüre, dass ich in der Beziehung zu meiner Mutter nur noch von Sorge und Liebe erfüllt bin. Ich habe mit der Zeit gelernt, sanft mit ihr umzugehen. Meine Wunden sind so verheilt, dass sie nicht mehr schmerzen. Nicht, dass sie die Zeit geheilt hätte; ich habe gelernt, Mamas Verhalten einzuordnen. Zwischen uns ist Frieden eingekehrt.
Liebe C*, mir kommt da so vieles irgendwie bekannt vor aus der Zeit, als meine Mutter hinfällig war. Sie war zwar nicht dement, aber durch ihre Hirnblutung eben geistig auch nicht mehr die Person, die sie früher gewesen ist. Manchmal kam ihr mein Besuch auch ungelegen, aber ich habe die Zeit, die uns noch geblieben ist, genützt. Und auch mit ein paar Dingen meinen Frieden gemacht. Es gab vielleicht nicht so vieles zu verarbeiten wie bei dir, aber jeder schleppt halt so sein Pinkerl an Dingen herum, die irgendwann mal sehr geschmerzt oder eingeschränkt haben. Ich finde es jedenfalls schön, wie du das jetzt mit deiner Mutter handhabst. Für euch beide. Und ich finde es sehr berührend, dass sie "Händestreichelfreundschaften"…
So etwas habe ich auch zweimal erlebt. Erst mit meiner Mutter - wobei da mehr mein Vater der "Leidtragende" war, weil ich noch arbeiten gegangen bin - und dann nachher mit meinem Vater.
Es ist ein Lernprozeß, der oft sehr schmerzlich war, aber letztendlich bin ich mit beiden versöhnt und trage ihnen nichts nach. Sie fehlen mir beide.
Liebe Grüße
Jutta
Frieden und Liebe - zwei Zauberworte, die so viel bewirken!