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Dünnhäutiger

  • Autorenbild: C*
    C*
  • vor 1 Stunde
  • 2 Min. Lesezeit


















Je älter ich werde, desto mehr neige ich dazu, sehr, sehr nah am Wasser gebaut zu sein. Patricia Riekel, die ehemalige langjährige Chefredakteurin der Zeitschrift Bunte, schreibt in ihrem Buch Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin? davon, dass sie tränensusig sei. Sie hat das Wort dem Buch Der geschenkte Gaul von Hildegard Knef entlehnt.

Sie meint, besonders rührselig zu sein. Ja, dieses tiefe Empfinden, dieses wuchtvolle Gerührtsein, das kenne ich auch von mir. Es gibt unzählige solche Momente in meinem Leben - Gelesenes, Gehörtes (Musik!), Beobachtetes, (das Verhalten von Kindern und Säugetieren, alte Liebespaare, ...), Erlebtes, Gefühltes, vieles kann mich besonders anrühren.

Ich fühle mich zunehmend berührbarer - aber auch dünnhäutiger und verwundbarer.

Und ich fühle mich mehr und mehr mit dieser Welt verbunden - alles, was diesen Planeten und die Menschen, die auf ihm leben, schmerzt, das schmerzt auch mich.

Frau Riekel weiß auch davon zu berichten, dass sich Langzeitstudien damit befassen, ob und wie weit sich die Gefühlswelt von Senior*innen verändert. Dabei kommt zutage, dass die meisten älteren Menschen einerseits gelassener sind, da bestimmte Gehirnregionen weniger aktiv auf negative Emotionen reagieren. Andererseits können ältere Menschen aber aufgrund ihrer Lebenserfahrung die Gefühle anderer Menschen besser nachempfinden. Diese Empathie ist für unsere Empfindsamkeit zuständig. Liest sich alles recht schlüssig für mich und ich wäre dankbar, wenn ich in manchen Dingen jetzt schon gelassener sein könnte.


Muttersein hat sich in meinem Leben nie aufgetan. Meine eigene Kindheit war sehr schwierig. Das Thema Familiengründung habe ich ganz sicher auch deshalb gemieden. Dennoch erlebe ich eine Art von Muttersein - für meine alten, kranken Eltern, die inzwischen hilflos sind wie kleine Kinder. Besonders erlebe ich mich als eine Mutter für meine Mutter. Vieles, das ihr aufgrund ihres geschwächten Körpers und Geistes, die sie immer mehr im Stich lassen, widerfährt, löst auch bei mir Tränen und Trauer aus. Ihr Kampf gegen ihre Ohnmacht rührt mich zutiefst.

Ich kenne mich damit aus, tränensusig zu sein. Es ist auch mit meinem Sehnen nach frühen Orten verbunden, an denen ich glücklich war, wo ich liebte und geliebt wurde. Manchmal möchte ich diese Zeit gerne wiederholen, zu mir heranziehen; ich möchte wieder in diese Orte eintauchen und die Menschen, die da lebten, noch einmal wiedersehen.


Foto: C*

 
 
 

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